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Die Bedeutung der regionalen und ländlichen Entwicklung mit Genossenschaften – heute und in Zukunft

Bild Lgh-Meckesheim
Lgh-Meckesheim

erschienen in pro-magazin 2013

Die Idee der Genossenschaft ist traditionell eng mit dem ländlichen Raum verbunden. Einer der Gründerväter der genossenschaftlichen Idee, Friedrich Wilhelm Raiffeisen (1818-1888), betrachtete den von ihm initiierten „Brodverein“, der im „Hungerwinter“ 1846/1847 ins Leben gerufen wurde, um eine Hungersnot zu lindern, als Geburtsstätte der ländlichen Genossenschaftsbewegung. Seit dieser Zeit haben sich Genossenschaften im ländlichen Raum auf breiter Ebene etabliert, und in den letzten Jahren dehnten sich die Tätigkeitsgebiete in immer mehr Bereiche aus, die für die Lebensqualität der Bürger gerade im ländlichen Raum prägend sind.

Die aktuelle Bedeutung der Genossenschaften im Agrarbereich in Baden-Württemberg ist beachtlich: 357 Genossenschaften mit rund 113.700 Mitgliedern und 5.500 Mitarbeitern erzielten im Jahr 2012 einen Gesamtumsatz von rund 3,7 Milliarden Euro. Wesentliche Gruppen sind hier Bezugs- und Absatzgenossenschaften, Lagerhäuser, Genossenschaften in den Bereichen Milch und Wein sowie Obst und Gemüse. Auch in der Forstwirtschaft finden sich schlagkräftige Genossenschaften, Forstbetriebsgemeinschaften und gemeinsame Vermarktung sind hier die wesentlichen Tätigkeitsfelder. Allen diesen Genossenschaften ist eines gemein: Sie fördern ihre Mitglieder, die Land- und Forstwirte, und unterstützen somit die Erwerbstätigkeit sowie die regionale Wertschöpfung im ländlichen Raum maßgeblich, unabhängig davon, ob im Haupt- oder Nebenerwerb gewirtschaftet wird.

Seit vielen Jahren steht der ländliche Raum dennoch vor der Herausforderung, auf die Trends Landflucht und Verstädterung reagieren zu müssen. Lebenswerte ländliche Räume und gepflegte Kulturlandschaften sind zwar der Wunsch vieler, der demografische Wandel und die Abwanderung junger Menschen in die Ballungszentren führen aber zu einer stetig älter werdenden Bevölkerung, gerade im ländlichen Raum. Aufgrund knapper öffentlicher Mittel stehen viele Kultur-, Bildungs- und Freizeiteinrichtungen auf dem Prüfstand. Aber auch wohnortnahe Einkaufsmöglichkeiten oder die regionale ärztliche Versorgung sind Themen, die zunehmend Sorgen bereiten. Diese Entwicklungen beinträchtigen nicht nur die Lebensqualität der Bürger, sondern führen auch zu Standortnachteilen für die regionale Wirtschaft.
Auch in diesen Bereichen haben sich daher in den vergangenen Jahren Genossenschaften etabliert. In den Lücken, die durch die Umbruchsituation entstanden sind, finden sie ihre Betätigungsfelder. So haben engagierte Bürger vielerorts beispielsweise Genossenschaften gegründet, die ein Dorfgasthaus oder das Schwimmbad betreiben, eine Kindertagesstätte initiiert oder die Wärmeversorgung des Ortes in die eigenen Hände genommen haben. Häufig anzutreffen sind auch genossenschaftlich organisierte Dorfläden, die es besonders der Bevölkerung im ländlichen Raum ermöglichen, am Wohnort Lebensmittel und andere Produkte des täglichen Bedarfs zu kaufen.

In den kommenden Jahren werden die Bürger im ländlichen Raum wohl verstärkt gefordert sein. Der demografische Wandel, der anhaltende Strukturwandel in der Landwirtschaft sowie Konzentrationsprozesse in Industrie und Handel lassen vermuten, dass in vielen Bereichen Lücken entstehen werden, die das Ausbluten des ländlichen Raums beschleunigen könnten. Dennoch haben viele Regionen großes Potenzial: Mittelständische Unternehmen bieten Mitarbeitern Arbeitsplätze, lokale Produkte und Dienstleistungen steigen in der Wertschätzung der Konsumenten, attraktive Landschaften eröffnen Möglichkeiten für Freizeit- und Tourismusangebote und auch der Ausbau der erneuerbaren Energien bietet Chancen, die regionale Wertschöpfung zu erhöhen. Gemeinsam können die Bürger viele dieser zukünftigen Herausforderungen meistern, die Genossenschaft als personalisierte Rechts- und Unternehmensform bietet den geeigneten verbindlichen Rahmen für die jeweiligen Vorhaben.

Ansatzpunkte für innovative Projekte liefern Neugründungen aus Baden-Württemberg: In Baienfurt bei Ravensburg betreiben Bürger ihr eigenes Schwimmbad (Genossenschaft Hallenbad Baienfurt eG), in Geschwend im Südschwarzwald betreibt eine Genossenschaft ihr Dorfgasthaus (dasrößle eG), in Nordrach werden Streuobstprodukte veredelt (Saftladen Nordrach eG), in Pfullendorf ermöglichen Bürger Wohnen und Gesundheit im Alter (WoGa Pfullendorf eG), in Jagsthausen wird erfolgreich ein genossenschaftlicher Dorfladen betrieben (Unser Dorfladen Jagsthausen eG), in Pfalzgrafenweiler ein genossenschaftliches Nahwärmenetz (Weiler Wärme eG). Besonders Energiegenossenschaften haben sich als Motor im ländlichen Raum erwiesen, rund 130 Energiegenossenschaften sind innerhalb kurzer Zeit entstanden. Durch die bürgerfinanzierte dezentrale Erzeugung erneuerbarer Energien werden maßgebliche Impulse zur Energiewende, aber auch zur Wertschöpfung in der Region gegeben. Aber auch außerhalb des Energiesektors gab es viele Neugründungen: 83 in den vergangenen fünfeinhalb Jahren. Viele weitere Projekte stehen bereits in den Startlöchern.

All diese beispielhaft genannten Initiativen greifen auf die bewährten und wieder modern gewordenen genossenschaftlichen Prinzipien zurück und betreiben aus Eigeninitiative aktive Selbsthilfe, die auf Selbstverantwortung und Selbstverwaltung beruht. Durch die demokratische Unternehmensverfassung haben alle Mitglieder bei wichtigen Entscheidungen – unabhängig von der finanziellen Beteiligung – eine Stimme, damit Einzelinteressen nicht dominieren können. Die Einbindung vieler Bürger ist vergleichsweise unkompliziert, die Beschränkung des Risikos für den Einzelnen ein wichtiges Argument, da in Deutschland kaum Insolvenzen von Genossenschaften verzeichnet werden müssen. In diesem Sinne: Ländlicher Raum ist genossenschaftlicher Raum – heute und in Zukunft noch viel mehr.

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