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Das Milchhüsli Wies eG ist Lebens-Mittelpunkt im Kleinen Wiesental

Die beiden Vorstandsmitglieder Nadia und Dieter Miss sind stolz auf die aktuellen 34 Prozent Kaufkraftbindung des Genossenschaftsladens.
Ingeborg Kunze

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Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Das kennzeichnet die Beispiel gebende Initiative Milchhüsli Wies Verbrauchergenossenschaft eG in einer schwarzwaldtypisch schönen, touristisch nicht überlaufenen Landschaft des Südwestens. Der Grund ihres Erfolgs: die Dynamik ihrer Macher. Seit mehr als fünf Jahren stellt sie sich den selbst gesetzten Aufgaben, die immer weiter wachsen. Die Kaufkraftbindung liegt bei herausragenden 34 Prozent. Längst umfasst das Spektrum dieser Institution im kleinen Dorf im Kleinen Wiesental zwischen Lörrach und Feldberg weit mehr als das, was einen Lebensmittelladen ausmacht. Der „Dorfladen Wies“ ist Lebens-Mittelpunkt für die Menschen in dem Gebiet, in dem es kaum Industrie und außer Handwerksbetrieben, Bürounternehmen, Verwaltung und Ferienwohnungen kaum Arbeitsplätze gibt.

Problem der Abwanderung

Die Europäische Union unterstützt den Raum als Leader-Gebiet finanziell. Die Hauptprobleme: wenig Bevölkerung, geringe Ärztedichte, zu wenig öffentlicher Nahverkehr, Familien brauchen ein zweites Auto. Ein Insider zur Aktualität des Kleinen Wiesentals: „Mehr Fuchs und Has‘ als Einwohner.“ Die ganze Region Südschwarzwald kämpft mit der Landflucht: Leben bundesweit durchschnittlich 231 Menschen auf einem Quadratkilometer, so sind es im Südschwarzwald 73, im Kleinen Wiesental nur 36. Junge Leute wandern demzufolge in die 20, 30 Kilometer entfernten Zentren des Geschäftslebens und der Produktion diesseits und jenseits der Grenze ab: in die Schweiz mit dem magnetisch anziehenden Basel und seinen Pharma-Giganten, in die größeren Städte am deutschen Rheinufer, nach Freiburg. Zurück bleibt im Kleinen Wiesental, der hübschen Schwester von Johann Peter Hebels Heimat Großem Wiesental, mit Schönau als dem größten Ort und der dort ansässigen preisgekrönten bürgerschaftlichen Energie-Initiative, eine ältere Generation. Sie muss sich neue soziale Ausrichtungen suchen und schaffen, will sie nicht in der Vergangenheit verharren und den Anschluss ans Heute verlieren. Dass dieses bewusste Leben im Heute gelingt, dazu trägt der auf breiten Gemeinschaftsschultern ruhende genossenschaftliche Dorfladen bei, den vor fünf Jahren Menschen mit Mut zum Risiko in die Welt gesetzt haben. In einer damals für das Gebiet fast ausweglos scheinenden Situation. Die beiden Gastwirtschaften in Wies, mit 270 Einwohnern der größte Ort im Tal, wurden geschlossen. Drei Lebensmittelläden gab es in den 1960er, 1970er Jahren noch im Dorf, doch der letzte hat 2007 zugemacht. Kurze Zeit später wurde auch der im benachbarten Tegernau geschlossen. Das hat Alarm ausgelöst.

Arbeitskreis fand Lösung

Verkäuferinnen im Milchüsli Wies

Die Angebotspalette und die Preisstruktur des Milchhuesli sind konkurrenzfähig.

Nichts war mehr da, was Kommunikation im ländlichen Bereich fördert und das alltägliche Leben ohne weite Wege einfach macht. Alles war damit schwieriger geworden innerhalb des weit verzweigten kommunalen Gefüges. Der damalige Wieser Bürgermeister Horst Wetzel zog die Reißleine, gab den Anstoß zu einem Arbeitskreis, in dem dann zwölf Köpfe aus der Bevölkerung nach einer Lösung des Versorgungsproblems gesucht haben: „Was einer nicht alleine schafft, das packt vielleicht Genossenschaft?“ Die Gemeinde, repräsentiert von einem aufgeschlossenen Bürgermeister, hat die Genossenschaftsidee Dorfladen begrüßt, befördert und mit 200 Quadratmetern Grund und Boden samt dem alten „Milchhüsli“ mit Arrestzelle mitten in Wies unterstützt, als die treibenden Kräfte im Kleinen Wiesental sich energiegeladen ans Werk gemacht haben. Dieter Miss, vom weltoffenen Oberrhein stammend und leidenschaftlich verliebt ins Kleine Wiesental, in dem der Geschäftsmann seit 1998 in Stockmatt einen Familiensitz geschaffen hat, trieb das Thema voran. Das Vorstandsmitglied ist überzeugt: „Die Werte sind noch da, wir müssen sie nur wieder entdecken, wieder Leben ins Dorf holen.“ In Ingrid Dörflinger, der zweitletzten Betreiberin eines privatwirtschaftlichen Dorfladens Wies, hatten Dieter Miss und seine Frau Nadia, ebenfalls Vorstandsmitglied, von Anfang an die richtige Tatkraft an der Seite. Mit ihr, dem Optimismus von Miss („wir gehen das Risiko ein, wir schaffen das“), der Beteiligung der Hälfte der Familien von Wies samt Nebenorten an der neuen Genossenschaft bei Anteilen zu 50 Euro ist das Unternehmen Dorfladen-Neuauflage in Gang und vorangekommen. 144 Genossenschafter haben für rund 26.000 Euro Anteile gezeichnet. Die Partnerschaft innerhalb der Genossenschaft wird weitergehen. Auch wenn Vorstandsmitglied Ingrid Dörflinger jetzt neben den Motoren Miss als der steuernden Administration in den Hintergrund treten wird, während die sozialen Aufgaben im Umfeld des Dorfladens weiter wachsen.

Dorfladen-Taxi fährt

Miss und seine 121 ehrenamtlichen Mitstreiter haben mit enormem Einsatz und Durchhaltevermögen angepackt und alles geschafft. Sogar Skeptiker haben mitgearbeitet. Mit vereinten Kräften und klaren Vorstellungen haben sie auf dem gemeindeeigenen Grundstück gebaut, die Einrichtung gestaltet, Ware beschafft, Regale und Lager gefüllt, Personal gewonnen, Aktionen gestartet, die Menschen im Kleinen Wiesental fürs gemein- same Unternehmen begeistert, die Resignation beendet, freundliche Dienstleistung und lebendige Kommunikation in Gang gebracht. Auch mit ungewöhnlichem Service: dem „Dorfladen-Taxi“. Menschen ohne Auto, auch ältere Menschen und junge Mütter, werden auf Wunsch an der Haustür abgeholt, in den Laden nach Wies gebracht und zu ebenso bestimmten Zeiten mit den Einkäufen wieder nach Hause gefahren. Nadia Miss, Mutter von vier Töchtern, macht das mit dem Privat- wagen. Die beste Idee für das Gebiet. Die Leute freuen sich über das Extra, das eben mehr ist als eine Fahrt zum kleinen Lebensmittelmarkt mit großem Angebot vom frischen Gemüse, Brot, Molkereiprodukten, Fleisch, Wurst, Obst, Süßigkeiten und allem anderen, was der Mensch daheim braucht bis zum Nähfaden und zur Mausefalle. Die Öffnungszeiten sind an die Bedürfnisse der Bevölkerung angepasst. Auch Handwerker haben hier wieder eine Heimat, genießen ihr Feierabend-Bier auf der Terrasse am Bach des Ladens. Kaminfeger, Radtouristen, das Ehepaar aus Müllheim, das jede Woche die Ausflugsfahrt nach Wies macht, haben hier ihre Anlaufstelle.

Auch Treffpunkt für Kommunikation

So ist der „Dorfladen Wies“ mitten im Dorf zum Lebens-Mittelpunkt geworden. Auf der Terrasse über dem kleinen Fluss und an der dafür eingerichteten Ecke im Laden läuft die Kommunikation. Das ist mehr ist als Begegnung unter Zeitgenossen. Das ist Atmosphäre, Mitmenschlichkeit, Heiterkeit. Hier gibt’s Verständigung, Verständnis, Austausch, Rat, Hilfe, Anregung für Ältere wie für Junge. Hier und im kommunalen Gebäude nebenan läuft das Dorfleben in geselliger Runde mit Liedern, Musik und Tanz. Hier sind Menschen aller Generationen, junge Leute, Kinder und Eltern miteinander im Kontakt. Eine Krabbelgruppe gibt’s regelmäßig, den „Generationentreff“. Das ist nicht allein Unterhaltung und Zeitvertreib. Sondern Gemeinschaftsgefühl in einer sich verändernden Gesellschaft mit vielen Älteren und Alten. Menschen wird das Bewusst- sein vermittelt, dass sie gebraucht werden. Das Wir-Gefühl ist da. Um die Zukunft des Zusammenlebens in diesem ländlichen Bereich des deutschen Südwestens, der durchaus für junge Familien attraktiv sein kann mit günstigeren Wohn- und Lebensbedingungen in den Städten des Umkreises, sieht es seitdem gut aus. Am 14. April 2012 hat die Genossenschaft das Grundstück und damit den Dorfladen, den sie selbst geschaffen hat, gekauft. 73.000 Euro Kosten hat sie gestemmt und keine Schulden gemacht. Der Wieser „Dorfladen“ ist heute weit mehr als nur Laden, der mit Angebot und Preisen mit jedem Supermarkt mithalten kann: „Für 5,30 ist der Einkaufskorb voll“ titelte die Zeitschrift des Naturparks Südschwarzwald und rechnete vor, dass die Privatwagen-Einkaufsfahrt nach Schopfheim ebenso viel Benzingeld kosten würde. Interessierte Kundschaft aus dem großen Umkreis hat inzwischen die Institution in Wies als Einkaufsort der anderen Art für sich entdeckt, kommt hierher, weil sie auch das Erlebnis mitnehmen will.

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