Für unsere Artikelserie hatten wir Gelegenheit mit Roland Schäfer, Vorstandsvorsitzender der Volksbank Bruchsal-Bretten eG, und dem Bereichsleiter Beratung Genossenschaftsbanken beim BWGV, Lothar Sauter, jeweils ein Interview zum Thema „Kommunikation in Veränderungsprozessen“ zu führen.
"Der Blick liegt auf den Stärken der Mitarbeitenden und ihren Potenzialen" - Interview mit Lothar Sauter
Herr Sauter, Sie steuern bei sich im Bereich seit einigen Jahren auf einem Veränderungskurs und haben schon vieles auf den Weg gebracht. Was waren die Gründe hierfür?
Ich möchte vor allem auf zwei Punkte eingehen: Zum einen die konsequente Ausrichtung auf das Mitglied und dessen Bedarf, also die Mitgliederzentrierung. Radikal gedacht haben wir keine Existenzberechtigung, wenn wir sie nicht permanent im Fokus haben. Zum anderen geht es um die Veränderungsfähigkeit der Menschen im Bereich. Wenn es eine Illusion ist, die Zukunft planen zu können, dann ist es klug, die Veränderungsfähigkeit zu trainieren, sprich: Flexibilität, Kreativität, Innovation, Agilität, Resilienz, Persönlichkeit. Das sichert uns langfristig das Überleben. Beispiel Corona-Krise: Es ist uns erstaunlich leichtgefallen, uns schnell auf die Veränderung einzustellen und es hat dazu noch einen unwahrscheinlichen Kreativitätsschub bei den Kolleginnen und Kollegen ausgelöst.
Wie war die Reaktion Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf diese angestoßenen Veränderungen?
Manchmal wundere ich mich selbst über die Geschwindigkeit, mit der wir uns verändern und dass die MItarbeitenden dieses Veränderungstempo mitgehen. Die kommen zu mir und erzählen, dass der Kurs nicht bequem ist, teilweise Unsicherheit erzeugt und ihnen vieles abverlangt, aber sie zeigen auch, dass sie Spaß daran haben.
Welche Überzeugungen haben Sie auf diesem Weg geleitet?
Wir führen erwachsene Menschen, das heißt, die lassen sich nicht durch ihre Führungskräfte verändern. Allenfalls unter Zwang und das trägt nicht weit. Führung kann jedoch einen Rahmen schaffen, in dem Veränderung leichter gelingt. Damit meine ich ein Umfeld, in dem Menschen sich entfalten und ihre Fähigkeiten entwickeln können, einen Raum, in dem Vertrauen und Kreativität entstehen kann. Ausprobieren und Fehler machen ist erwünscht, weil es uns weiterbringt.
Wir geben als Führungsteam Leitplanken, wie unser Zukunftsbild aussieht, was wir erreichen wollen und was uns begrenzt. Das Spannende ist nun, dass sich innerhalb dieses Rahmens - quasi wie von selbst - Eigeninitiative, Eigenverantwortung, Selbstverständnis und Selbstwirksamkeit entwickeln. Es entstehen Dinge, die vorher nicht möglich waren, ohne dass die Führung sie anweisen musste.
Ich habe mir angewöhnt, meinen Fokus und meine Zeitverwendung dahin zu lenken, wo ich Bewegungsenergie sehe und diese zu hegen. Der Blick liegt auf den Stärken der Mitarbeitenden und ihren Potenzialen. Die Schwächen versuche ich zu ignorieren. Das gelingt mir noch nicht immer gut. Es macht jedoch keinen Sinn, die Kraft in das zu lenken, was sich scheinbar nicht verändern will oder kann.
Klingt gut, wo ist der Haken?
Ich vertraue auf die Schwungmasse der Mitarbeitenden, die mitziehen. Und dafür gibt es keine Garantie. Dennoch erwarten wir von allen, dass sie die Freiräume produktiv und im Sinne unserer Ziele nutzen. Das halten wir nach und auch darüber sprechen wir. Immerhin ist es uns gelungen, mit diesem Veränderungskurs die Produktivität in den letzten drei Jahren um 64 Prozent zu erhöhen.
Die größte Herausforderung liegt bei den Führungskräften. Das Ganze funktioniert nur, indem wir permanent lernen, unsere alten Muster über Bord zu werfen. Das Neue haben wir im Führungsteam sofort aufgenommen, aber das Alte werden wir nur schwer los.
Und: das alles braucht permanente Kommunikation - das wichtigste Instrument, um einen Wandel zu bewirken. „Instrument“ wohlgemerkt, mit dem ich Haltung und Verhalten vergemeinschaften kann, nicht jedoch als „Veränderungsmacher“. Bis es vom Kopf ins Herz geht, ist es ein langer Weg. Und ein mühsamer dazu, denn Kommunikation ist in aller Regel ein undankbares Geschäft für Führungskräfte. Man kann es scheinbar nie recht machen.
Warum ist denn Kommunikation scheinbar so undankbar?
Es ist einfach ernüchternd, wie wenig vom Gesagten gehört wird und was dann daraus verstanden und abgeleitet wird. Warum ist das eigentlich so? Wir haben nur kurze Aufmerksamkeitsfenster, in denen wir konzentriert zuhören und aufnehmen können. Und wir sind jeden Tag ein bisschen anders drauf, manchmal ist der Kopf mit anderen Dingen voll. Wir filtern beim Zuhören über unser inneres Wertesystem und unsere Wirklichkeitskonstruktion. Es spricht mich eben persönlich mehr an, wenn die Botschaften zu meinem Wertesystem passen. Je nachdem, ob Ordnung mein Antriebswert ist oder Leistung und Erfolg oder die Gemeinschaft im Team, nehme ich die Informationen mit einem anderen Filter wahr und bewerte sie entsprechend.
Wie haben Sie das denn nun konkret angepackt?
Mit geduldiger Penetration und indem wir viel Zeit dafür einplanen. Wir lassen im Führungsteam keine Gelegenheit aus, unsere Veränderungsthemen zu kommunizieren. Dafür haben wir die klassischen Besprechungsplattformen erweitert, unter anderem mit Elementen aus der agilen Arbeit. In monatlichen „Stand-up-Meetings“ bieten wir einen schnellen und aktuellen 60-Minuten-Dialog zur Entwicklung des Bereichs für alle Mitarbeitenden, die daran Interesse haben. Halbjährlich trifft sich die komplette Mannschaft ganztägig zu einem Begegnungstag und arbeitet gemeinsam an der Bereichsentwicklung.
Wir bemühen uns redlich, jede Gelegenheit zu nutzen, unsere Veränderungsanliegen in Zusammenhang mit täglichen Themen zu bringen, auch auf dem Flur, im Aufzug oder in der Cafeteria. So entsteht auch die notwendige Perspektivenvielfalt. Und an den Erfahrungen können wir uns als Führungskräfte wieder reiben. Das Vorleben der Führungskraft ist aus meiner Sicht eines der unmittelbarsten Kommunikationsinstrumente. Mitarbeitende haben sehr feine Antennen dafür, ob Reden und Handeln ihrer Führungskraft im Einklang stehen.
Welche Rollen spielen die Kommunikationsformate, von denen wir einige im Geno Graph vorgestellt haben?
All diese Formate, sei es nun BarCamp, Messe, Werkstatt, Appreciative Inquiry, setzen wir aktiv in der Bereichskommunikation ein. Sie haben alle miteinander den Vorteil, dass Sie dialogorientiert ablaufen und auf den Stärken der Mitarbeitenden aufbauen. Unsere Veränderungskommunikation ist immer darauf ausgerichtet, unsere Stärken zu verstärken. Alles andere bringt uns nicht weiter.
Dialogformate haben den großen Vorteil, dass sie interaktiv sind und mehrdimensionale Kommunikation zulassen. Nicht das Mitteilen, sondern die Sichtweise Aller zu erkunden, das gemeinsame Verstehen und miteinander Teilen steht im Mittelpunkt. MItarbeitende setzen sich intensiver mit den Themen auseinander, indem sie ihre Fragen und Ideen einbringen. Die Dialogformate enthalten immer Anteile von Lernen und Entwickeln. Damit bekommen wir auch aus jeder Veranstaltung einen wertvollen Output in Form von Ideen und Lernerkenntnissen, die das Thema weiter reifen lassen. Wir gehen also nie mit fertigen Themen in den Dialog, sondern vertrauen inzwischen darauf, dass die Kommunikation befruchtend wirkt und sich unser Thema weiterentwickelt. So verbessert sich unser Veränderungsweg und gleichzeitig wird er zur gemeinsamen Sache.
Warum schreibt sich der BWGV, insbesondere die Bereiche Beratung und Bildung, dieses Thema auf die Fahnen?
Die Veränderungsdynamik und die Komplexität der Themenstellungen in der Bankbranche ist inzwischen so groß geworden, dass sie nicht mehr mit altbewährten Mitteln gemeistert werden können. Die ganzen neuen Fachkonzepte fruchten nur dann, wenn es uns gelingt, die Veränderungsfähigkeit und Resilienz der Menschen zu erhöhen. Mitarbeitende, die gelernt haben, mit Veränderung umzugehen und darin auch die Chancen erkennen, sind der wichtigste Stellhebel für den künftigen Erfolg. Zukunftsfähigkeit wird am nachhaltigsten durch die Veränderungsfähigkeit beeinflusst.
Ein eindrucksvolles Beispiel hierfür ist die Corona-Ausnahmesituation: Wer frühzeitig diese Eigenschaften im Unternehmen trainiert hat, nutzt jetzt die Chancen und wird deutlich besser in eine Zukunft nach der Krise starten. Dazu braucht es Investitionen in die Zukunft, in die Veränderungsfähigkeit und Kommunikation. Hierbei wollen wir unseren Mitgliedern hilfreich, unterstützend und richtungsweisend zur Seite stehen. Das treibt uns an.
"Höhere Akzeptanz bedeutet auch höhere Umsetzungsgeschwindigkeit" - Interview mit Roland Schäfer
Unser zweiter Interviewpartner, Roland Schäfer, Vorstandsvorsitzender der Volksbank Bruchsal-Bretten eG, stand uns per Videokonferenz zur Verfügung. Für uns ein neuer Weg, in Zeiten des Social Distancing in Kontakt mit unseren Gesprächspartnern zu treten.
Als wir uns mit Ihnen zum Thema „Veränderungen wirksam kommunizieren“ virtuell verabredet haben, was ist Ihnen da als erstes in den Sinn gekommen, Herr Schäfer?
„Sinn“ ist ein wunderbares Stichwort! Sie werden gleich verstehen, wie ich das meine… Mir ging Folgendes durch den Kopf: Kommunikation hat für mich zwei grundlegende Funktionen: Zum einen die der Informationsübertragung und zum anderen die der Verhaltenskoordination. Informationen zu übermitteln mit Hilfe diverser Kanäle und Tools, das klappt richtig gut bei uns. Wir nutzen hier bereits so vieles: Von Videobotschaften über Social-Media-Plattformen, Barcamps und natürlich auch die herkömmliche Art der schriftlichen und mündlichen Information, beispielsweise per E-Mail und in Gesprächen.
Das ist es aber gar nicht, worauf ich hier gerne den Schwerpunkt legen möchte. Mir ist in unserem Kontext der Aspekt der Verhaltenskoordination der Entscheidendere. Denn in Zeiten permanenter Veränderung geht es darum, durch bewusste Kommunikation das Verhalten in eine gewünschte Richtung zu lenken. Und an diesem Punkt wird es wichtig zu beachten, dass Kommunikation ein sinnliches Erlebnis ist. Sie sehen: Hier kommt der Sinn ins Spiel.
Können Sie uns das noch etwas erläutern?
Anstehende Veränderungen müssen nicht nur kognitiv verstanden werden und dann operativ in die Tat umgesetzt werden, sondern sie müssen auch nachvollziehbar sein. Mitarbeiter müssen sie nachspüren können. Das „Wozu“ und „Warum“ von Veränderungen soll verinnerlicht werden. Wir haben daher das Bild von „Kopf, Herz und Hand“ gewählt, um diese Einheit zu verdeutlichen.
Diese Gedanken stammen aus dem Bereich der Wirtschaftsästhetik. Diese Disziplin legt das Augenmerk auf die sinnliche und emotionale Wahrnehmung. „Ästhetik“ wird hier übrigens nicht in der landläufigen Verwendung von „Schönheit“ benutzt, sondern im Sinne der körperlichen Wahrnehmung und des dadurch ausgelösten sinnlichen Fühlens. Von daher ist auch Veränderung immer als ein sinnliches Erlebnis zu sehen, weil Menschen auch emotional von ihr betroffen sind.
Was ist das Besondere an Kommunikation in Zeiten der Veränderung?
Wir haben festgestellt, dass unsere Kommunikation manches Mal nicht so wirkt, wie wir uns das vorstellen oder wünschen. Das liegt dann häufig daran, dass die Grundausgangslage an sich bereits ein Problem darstellt: Die Tatsache, dass Veränderung geschieht, wird bereits als problembehaftet erlebt. Wenn ich also weiß, wie Menschen auf Veränderungen reagieren, dann kann ich auch entsprechend kommunizieren. Der Mensch ist größter Erfolgsgarant von Veränderungsvorhaben, kann aber auch deren größter Verhinderer sein. Daher setzen wir darauf, dass wir in unserer Bank die Veränderungsfähigkeit als Unternehmenseigenschaft etablieren.
Warum legen Sie so viel Wert darauf?
Wir sind der Überzeugung, dass drei Fähigkeiten entscheidend sind, um auch in Zukunft erfolgreich zu bleiben: Prozessexzellenz, Kunden- beziehungsweise Mitgliederorientierung und Veränderungsfähigkeit. Prozesse zu optimieren ist eine Daueraufgabe, die wir erfolgreich meistern; unter anderem sind wir ISO-zertifiziert. Die Kunden- und Mitgliederorientierung haben wir mit dem Projekt KundenFokus dauerhaft im Blick. Bleibt noch die Veränderungsfähigkeit. Wie man diese in einem Unternehmen entwickeln und etablieren kann, ist allerdings alles andere als klar und logisch.
Wir haben uns gefragt: „Wenn Veränderungen so schwierig sind, wieso lassen wir sie nicht sinnlich erleben - fühlen, hören, nachspüren?“. Und so haben wir gemeinsam mit Experten der Wirtschaftsästhetik ein Qualifizierungsprogramm dazu konzipiert.
Das macht neugierig. Wie sah dieses Konzept aus?
In diesem Projekt „Alles bleibt anders“ ging es während eines ganzen Jahres darum, mit 15 Mitarbeitenden, den Bereichsleitern und dem Vorstand an den drei Themenfeldern „Leben, Arbeit und Wandel“ zu arbeiten. Das geschah bei monatlichen Treffen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer setzten sich ausschließlich auf künstlerische Art und Weise mit diesen drei Aspekten auseinander, zum Beispiel in einem Theaterprojekt oder beim Werken in einem Kunsthof, der eigens dafür angemietet wurde. Das Besondere: Jede/Jeder tat das ganz individuell für sich und mit sich selbst. Parallel dazu starteten diese 15 Veränderungsgestaltenden in Mikronetzwerken mit jeweils sechs weiteren Kolleginnen und Kollegen aus den unterschiedlichen Bereichen der Bank und bearbeiten seither darin ein relevantes Veränderungsthema. Diese Mikronetzwerke sind also losgelöst von der Aufbauorganisation, sie liegen quasi darüber.
Welchen besonderen Gewinn zieht Ihr Haus aus diesem Projekt?
Wir alle konnten förmlich am eigenen Leib erfahren: Wage Wandel und du wirst sehen, er tut nicht weh! Wage dich vor in Sphären, die du bislang noch nicht kanntest. Wage Wandel und du wirst erleben, es kommt vor, dass manches nichts wird oder erst im zweiten oder dritten Versuch, du wirst vielleicht sogar scheitern. Aber das ist nicht schlimm, denn Wandel lebt von der Weiterentwicklung. Das zu erkennen ist sehr befreiend.
Und noch etwas Anderes empfinde ich als großen Gewinn: Wir alle haben, so meine ich, eine höhere Achtsamkeit im Umgang miteinander entwickelt. Wir haben bewusst erlebt, dass wir selbst sinnliche Wesen sind. Das bedeutet umgekehrt auch, dass mein jeweiliges Gegenüber selbstverständlich auch ein sinnliches Wesen ist. Dessen Empfindungen muss ich bei der Ansprache mitberücksichtigen.
Auf Ebene der Organisation haben wir durch die 15 Veränderungsgestaltenden ein sehr wertvolles Asset erhalten: Wir haben in Veränderungsprozessen deutlich an Tempo zugelegt. Gleichzeitig steigt die Qualität und Quantität unserer Ideen, weil sich viele Menschen mit unterschiedlichen Perspektiven an deren Ausarbeitung beteiligen.
Lassen Sie mich ein Beispiel geben: Bei der Einführung einer neuen Collaboration-Plattform ging es auch darum, Spielregeln für deren Nutzung festzulegen. Hätten wir uns früher wahrscheinlich in einer kleinen Gruppe zusammengesetzt und uns dazu Gedanken gemacht, entstanden die Spielregeln nun aus den Mikronetzwerken heraus und waren schnell akzeptiert. Wenn sich 15 mal 6 Mitarbeitende von einem sehr frühen Zeitpunkt an mit einer Veränderung befassen, dann ist von Anfang an die Akzeptanz dafür viel höher, weil sie noch mitgestaltet werden kann. Und höhere Akzeptanz bedeutet auch höhere Umsetzungsgeschwindigkeit.
Das hört sich nach einem bislang erfolgreichen Weg an. Was bleibt noch zu tun? Wo liegen aus Ihrer Sicht die Herausforderungen?
Mit den 15 Mikronetzwerken erreichen wir einen Teil unserer Belegschaft. Es gibt jedoch auch noch Kolleginnen und Kollegen, die den Weg bislang noch nicht mitgegangen sind und die auch weiterhin Vorbehalte gegenüber Veränderungen haben. Die Unternehmenseigenschaft der Veränderungsfähigkeit ist erst in rund einem Drittel der Mitarbeiterschaft verankert. Die Frage ist: Schaffen wir es, sie in einem Großteil der Mannschaft zu etablieren? Wir müssen zumindest versuchen, keine oder möglichst wenige Verhinderer zu haben. Ich bin in dieser Frage mit meinen Kollegen zusammen sehr optimistisch. Letzten Endes werden die positiven Entwicklungen, die wir durch dieses Vorgehen in unserer Bank initiieren, für sich sprechen.