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VR-Agrartag: Landwirte wagen virtuell einen Blick in die Glaskugel und die eigene Zukunft

VR-Agrartag digital
BWGV

Auch wenn ein Blick in die Zukunft fast immer ein Blick in die „Glaskugel“ ist – die besonderen Herausforderungen für die Landwirtschaft in den kommenden zehn Jahren sind teilweise schon heute zu erkennen: „Die moderne Landwirtschaft arbeitet gesamtökologisch verantwortungsbewusst, ist ökonomisch rentabel, sie geht auf die sich verändernden Ernährungsgewohnheiten und Verbraucherwünsche ein und kommt unverändert ihrer großen Verantwortung nach, gesunde und bezahlbare Lebensmittel für die Bevölkerung zu produzieren.“ So fasst Dr. Roman Glaser, Präsident des Baden-Württembergischen Genossenschaftsverbands (BWGV), anlässlich des diesjährigen VR-Agrartags die Herausforderungen der Branche zusammen. Dabei sieht Glaser bei allen Überlegungen zur Zukunft der Landwirtschaft auch die gesamte Gesellschaft mit im Boot: „Der Preis von Nahrungsmitteln muss seinem Wert entsprechen. Ob Preis und Wert im Einklang stehen, darauf hat der Verbraucher großen Einfluss. Er entscheidet, was er kauft, und was es ihm wert ist.“

Corona-bedingt erstmalig als digitale Veranstaltung organisiert, haben sich beim diesjährigen VR-Agrartag mehr als 400 Landwirtinnen und Landwirte sowie Vertreter der Volksbanken und Raiffeisenbanken aus ganz Baden-Württemberg mit dem Thema Zukunft beschäftigt. Unter der Überschrift „Ein Blick in die Glaskugel – Landwirtschaft in 2030“ haben sie über neue zusätzliche Geschäftsmodelle für Landwirte, Chancen der Digitalisierung, Herausforderungen durch klimatische Veränderungen und durch gesellschaftliche Megatrends, aber auch neue Ideen zur Ernährung der Weltbevölkerung diskutiert.

Glaser: Landwirtschaft stellt sich den Herausforderungen

„Bei unseren landwirtschaftlichen Betrieben, die in Baden-Württemberg zu 90 Prozent Familienbetriebe sind, erkenne ich eine große Bereitschaft, sich den ökologischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Herausforderungen der Zeit zu stellen“, betonte Glaser. Dabei sei es wichtig, Techniken, die einen ökologischen und ökonomischen Mehrwert bringen, verstärkt in der Zukunft einzusetzen: „Mit Hilfe von Digitalisierung und Präzisionslandwirtschaft können Pflanzenschutz, Bewässerung und Düngung gezielt und somit ressourcen- und umweltschonend eingesetzt werden“, so Glaser, der in diesem Zusammenhang dafür wirbt: „Unsere Bäuerinnen und Bauern brauchen in der Bevölkerung Rückhalt und Offenheit für eine moderne, innovative, digitalisierte und produktive Landwirtschaft. Auf diese Weise können Tierwohl, Natur-, Arten- und Klimaschutz auf der einen, und ein angemessenes Einkommen für die Familien und Beschäftigten in der Landwirtschaft auf der anderen Seite in Einklang gebracht werden.“

Einen beeindruckenden Überblick über die heutigen und zukünftigen globalen Veränderungen und Trends sowie deren direkte Auswirkungen auf die Landwirtschaft lieferte Professor Dr. Karin Schnitker von der Hochschule Osnabrück, Fakultät für Agrarwissenschaften und Landschaftsarchitektur, den Teilnehmern des virtuellen VR-Agrartags: Bis zum Jahr 2050 würde sich die Weltbevölkerung gegenüber dem Stand von 1970 verdreifachen, und der globale Fleischkonsum würde sich – insbesondere aufgrund der Entwicklung in den Schwellenländern – verdoppeln, referierte Schnitker. Gleichzeitig würden aufgrund der Klimaveränderung jährlich etwa 0,7 Prozent des nutzbaren Ackerlands verloren gehen – etwa zehn Millionen Hektar weltweit pro Jahr. In Verbindung mit zunehmender Wasserknappheit und steigendem Wasserverbrauch führe dies zu einem starken Ertragsverlust – Schätzungen würden von einem klimabedingten Ertragsverlust von rund 20 Prozent bis zum Jahr 2060 ausgehen. „Agrar ist der am meisten vom Klimawandel betroffene Sektor“, sagte die Professorin, die darüber hinaus aufgrund globaler gesellschaftlicher Entwicklungen wie etwa einer zunehmenden Urbanisierung, einer älter werdenden Bevölkerung sowie einem zunehmenden Gesundheitsbewusstsein der Menschen sowohl Aufgaben als auch Chancen für die Landwirtschaft sieht. An die Landwirte richtete sie den Appell, offen für innovative Ideen und Veränderungsprozesse im eigenen Betrieb zu sein und auch Start-ups im Blick zu behalten. Zehn Prozent der deutschen Start-ups des vergangenen Jahres kämen aus den Bereichen Ernährung, Konsum, Agrar- und Landwirtschaft, erklärte Schnitker. Warum nicht gute Modelle unterstützen oder sogar für den eigenen Betrieb adaptieren, fragte die Hochschul-Professorin.

Digitale Lösungen machen die Landwirtschaft effizienter

Wie stark der Transformationsprozess sowie der Strukturwandel in der Landwirtschaft sind, erläuterte Matthias Schulze Steinmann, Chefredakteur der Fachmagazine „top agrar“ sowie „f3 – farm. food. future“. Gab es 1949 noch mehr als 1,6 Millionen landwirtschaftliche Betriebe so waren es 2015 noch rund 280.000, stellte der Fachjournalist heraus. In einprägsamen Beispielen machte er bei beim VR-Agrartag deutlich, wie bereits heute digitale Möglichkeiten zu einer effizienten und ressourcenschonenden Landwirtschaft beitragen können. Er appellierte an die Landwirte, ökologische Leistungen der Landwirtschaft sichtbarer zu machen, und stets auch für neue Wege offen zu sein – etwa beim Aufbau einer eigenen Marke für die Produkte, oder auch hinsichtlich ganz neuer Ideen wie Insekten- und Algenzucht. Beim mutigen Gestalten der Zukunft helfe, sich die grundlegenden genossenschaftlichen Werte vor Augen zu führen: Solidarität und Hilfe zu Selbsthilfe seien aktueller denn je, so der Redakteur.

Mit Kooperationen besser am Markt bestehen

Ein ebenfalls genossenschaftliches Prinzip wendet Alois Penninger sehr erfolgreich an: die Kooperation. Der Junglandwirt aus Niederbayern hat im Jahr 2016 im Alter von 25 Jahren den Betrieb von seinem Vater übernommen und dessen innovative Ideen weiter konsequent ausgebaut. Mit einem befreundeten Landwirt kooperiert Penninger sehr eng und hebt damit zahlreiche Synergien. Beim VR-Agrartag zeigte er sich davon überzeugt, dass Kooperationen nicht zuletzt für kleinere Betriebe gute Lösungen bieten, um langfristig am Markt bestehen zu können. Darüber hinaus berichtete Penninger davon, dass in seinem elterlichen Schweinemastbetrieb schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt auf Tierwohl gesetzt und weit über den eigenen Tellerrand hinausgeschaut wurde. So werden bereits seit den 1990er Jahren auf dem Hof-Areal freie Flächen als Wohnungen sowie Betriebsstätten für lokale Handwerker vermietet. Im Jahr 2018 ist Penninger dann noch in die Rolle des Investors geschlüpft und hat neben seinem Hof ein Gebäude für eine Senioren-Wohngemeinschaft errichtet und an einen Pflegedienst langfristig vermietet.

In der von Moderatorin Judith Landes geleiteten abschließenden Podiumsdiskussion sendete Gerhard Glaser als Vizepräsident des Landesbauernverbands in Baden-Württemberg ein klares Signal in Richtung Politik: Um den Transformationsprozess erfolgreich umsetzen zu können und Investitionssicherheit zu haben, benötigen die Landwirte verlässliche Rahmenbedingungen, machte Gerhard Glaser deutlich. Nur so könnten sie auch weiterhin ihrer wichtigen gesellschaftlichen Aufgabe nachkommen und regional erzeugte, gesunde Lebensmittel für die Bevölkerung bereitstellen.

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