Die Landwirtschaft in Baden-Württemberg ist geprägt von Einzelunternehmen: 88 Prozent aller rund 39.000 landwirtschaftlichen Betriebe im Südwesten werden von einer einzelnen Person oder einem Ehepaar als Inhaber geführt. Seit einiger Zeit ist jedoch ein deutlicher Trend zu mehr Zusammenarbeit und betrieblichen Partnerschaften in der Landwirtschaft erkennbar. „Gemeinschaftliche Betriebsformen gewinnen immer mehr an Relevanz“, erklärte Dr. Roman Glaser, Präsident des Baden-Württembergischen Genossenschaftsverbands (BWGV), anlässlich des VR-Agrartags in Ulm.
Glaser machte deutlich: „Unsere Landwirtschaft befindet sich in einem tiefgreifenden Transformationsprozess. Es gilt, die zunehmenden Anforderungen an Umweltschutz und Tierwohl umzusetzen, bei der Erreichung der Klimaschutzziele mitzuarbeiten und Antworten auf die klimatischen Veränderungen zu finden. Außerdem sieht sich die Landwirtschaft großen ökonomischen und gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen gegenüber.“ Wettbewerbs- und Preisdruck sowie sinkendes Verständnis für die Arbeit der Landwirtinnen und Landwirte belaste die Betriebe. Ganz in der genossenschaftlichen Tradition könne eine Bündelung der Kräfte sinnvoll sein.
„Mit Partner schaf(f)t man mehr“ lautete der Titel des VR-Agrartags in Ulm. In der Donauhalle haben nahezu 250 Landwirte und Vertreter der Volksbanken und Raiffeisenbanken darüber diskutiert, welche Möglichkeiten der Zusammenarbeit und Partnerschaft sinnvoll sind. Ebenso wurde erörtert, welche Voraussetzungen für eine nachhaltig erfolgreiche Partnerschaft notwendig sind, welche Konflikte auftreten können und wie diese vermieden oder gemeistert werden können.
Faktor „Mensch“ spielt eine große Rolle
„Neben betriebswirtschaftlicher Kompatibilität ist es entscheidend, dass die Partner auch menschlich zusammenpassen, gleiche Zielsetzungen haben sowie veränderungsbereit, offen und tolerant sind“, betonte Ute Bader, Abteilungsleiterin Landwirtschaft im Bereich Beratung Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften des BWGV, in Ulm. Daher wurde beim VR-Agrartag das Thema Partnerschaft praxisorientiert aus vielfältigen Blickwinkeln betrachtet – nicht nur aus wirtschaftlicher und fachlicher Sicht.
Ziel: Wirtschaftlich tragfähig und langfristig zukunftsfähig sein
„Die äußeren Rahmenbedingungen sind für die einzelnen Betriebe so gut wie nicht zu beeinflussen. Daher müssen sie ihre innerbetrieblichen Faktoren so gestalten, dass sie wirtschaftlich tragfähig und auf lange Sicht zukunftsfähig sind“, stellte Bader heraus. Es gehe darum, die Wettbewerbsfähigkeit, die Investitionsspielräume und ein angemessenes Einkommen sicherzustellen, Kosten zu reduzieren und für gute Arbeitsbedingungen zu sorgen. Größere Flächen oder mehr Viehbestand eröffnen neue Perspektiven; Teamwork bringt Erleichterungen beim Arbeitsaufwand und schafft mehr Freiräume für Freizeit und Urlaub; ein höherer Professionalisierungsgrad dank größerer Einheiten erleichtert die Bewältigung des Transformationsprozesses und hilft bei der Umsetzung der Umwelt-Anforderungen; ausreichend Kapital schafft die Gelegenheit, die Digitalisierung voranzutreiben; neues Fachwissen ermöglicht einen höheren Spezialisierungsgrad. „Wichtig ist es, dass sich die Partner einig über die Zielsetzung der Zusammenarbeit und der gewünschten Effekte sind“, erklärte Ute Bader.
Großes Spektrum an Möglichkeiten der Zusammenarbeit
Die Möglichkeiten zur Ausgestaltung und Tiefe der Zusammenarbeit seien dabei vielfältig: Das Spektrum reicht von gelegentlicher Zusammenarbeit, über einen gemeinsamen Einkauf und Maschineneinsatz bis hin zur vollfusionierten Betriebseinheit. Grundsätzlich gelte es, zwischen vertikaler Kooperation (Zusammenarbeit von produzierender Landwirtschaft mit vor- und nachgelagerten Bereichen) sowie horizontaler Kooperation (landwirtschaftliche Unternehmen untereinander) zu unterscheiden. Immer häufiger werden Kooperationen auch mit Quereinsteigern in die Landwirtschaft eingegangen, die nicht über einen eigenen Hof, aber dafür großes Fachwissen, etwa nach einem Studium, verfügen.
Kooperationen, vor allem wenn es sich um dann größere Einheiten handelt, gehen mit veränderten Anforderungen an die Betriebsleitung einher: Strukturen und Organisationsabläufe müssen angepasst werden, die Anzahl der zu führenden Mitarbeiter wächst, die Investitionen sind höher, die Anforderungen der Banken steigen. Hinzu kommt: Der gewohnte Arbeitsalltag ändert sich, und Entscheidungen können nicht mehr alleine oder in der Familie getroffen werden. Bader: „Der Verlust der Selbstständigkeit und die Tatsache, nicht mehr sein eigener Herr zu sein, bedeutet für viele Landwirte einen großen Einschnitt.“ Gerade emotionale, psychologische und soziale Komponenten entscheiden über das Gelingen einer Partnerschaft. „Es muss nicht nur auf der ökonomisch-technischen Ebene funktionieren, sondern es muss auch zwischenmenschlich passen“, stellte die BWGV-Expertin heraus. Daher seien Konflikte auch nicht zu vermeiden. „Entscheidend für erfolgreiche Partnerschaften ist, die Konflikte stets zeitnah anzugehen und zu lösen“, so Bader. Vertrauen, Kommunikationsfähigkeit, Veränderungsbereitschaft, Offenheit und Toleranz sind entscheidende Erfolgskriterien.
Damit unterscheiden sich erfolgreiche Partnerschaften in der Landwirtschaft nicht von anderen Partnerschaften, wie Nina Müller-Martin beim VR-Agrartag verdeutlichte. Die Agraringenieurin und Diplom Ehe-, Familien- und Lebensberaterin zeigte in ihrem Vortrag „Bausteine gelingender Partnerschaften“ auf. Ihre Kernaussage: Jede Beziehung zu anderen Menschen, egal ob im Beruf, in der Familie und mit Freunden, braucht ein hohes Maß an Vertrauen. Dieses kann trainiert werden. Wichtig seien echtes Zuhören und sich Zeit für den anderen zu nehmen.
Zwölffache Paralympics-Siegerin Bentele: Vertrauen ist entscheidend
Verena Bentele könnte ohne Vertrauen ihren Alltag nicht meistern und hätte auch ihren Sport nicht ausüben können. Die zwölffache Paralympics-Siegerin im Biathlon und Präsidentin des Sozialverbands VdK Deutschland ist von Geburt an blind und deshalb immer auf Partner angewiesen. Daher ist sie davon überzeugt: „Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser“, so der Titel ihres Vortrags beim VR-Agrartag und ihres im Jahr 2014 erschienenen Buchs. Die ehemalige Spitzensportlerin wuchs auf dem elterlichen Bio-Bauernhof im Bodenseekreis auf und hatte während ihrer sportlichen Karriere mehrere Begleitläufer in der Loipe.
Erfolgreiches Praxisbeispiel aus der Schweiz
Ebenfalls im Jahr 2014 war es, als die beiden Schweizer Landwirte Christian Hurni und Simon van der Veer erstmalig Süßkartoffeln anpflanzten – eine Kultur, die sich insbesondere in Süd- und Mittelamerika oder in den warmen Regionen der USA, Südeuropas und Chinas wohlfühlt. Aus dem damaligen Start-up ist mittlerweile ein etabliertes Unternehmen geworden: Die Batati GmbH (Batate ist ein anderes Wort für Süßkartoffel) aus Fräschels im Kanton Freiburg zählt zu den wichtigen Akteuren am Schweizer Süßkartoffelmarkt. Mit acht weiteren Erzeugern produzieren, lagern und vermarkten sie die Süßkartoffel als eigene Marke. Dadurch haben sie für sich sowie die weiteren kleinen Betriebe eine Nische aufgetan, diese besetzt und ausgebaut. Unter dem Titel „Trotz kleiner Strukturen – mit Süßkartoffeln und Partnern zum großen Erfolg“ referierten sie in Ulm über ihre Betriebsentwicklung und ihre Erfahrungen mit den Partnerschaften.
Für künstlerische Einlagen mit jeder Menge Humor beim VR-Agrartag in Ulm sorgte das bekannte Duo „Alois & Elsbeth Gscheidle“.