Der Baden-Württembergische Handwerkstag (BWHT) hat gemeinsam mit dem Baden-Württembergischen Genossenschaftsverband (BWGV) ein Positionspapier zum Thema „Genossenschaften als Zukunftsmodell für das Handwerk“ verabschiedet. Zentrale Forderungen: öffentliche Finanzierungsinstrumente für den Aufbau genossenschaftlicher Plattformmodelle, eine stärkere Integration der genossenschaftlichen Rechts- und Unternehmensform in die Gründungs- und Nachfolgeberatung und flankierende Landesprogramme, die die Mitarbeiterbeteiligung an Betriebsnachfolgelösungen fördern.
„Die jahrhundertealte Idee der Handwerkergenossenschaft bekommt im digitalen Zeitalter eine völlig neue Bedeutung. Sie hat das Potenzial, ein starkes Netz zwischen Einzelbetrieben zu knüpfen. Im Verbund lassen sich gemeinsame Digitalisierungsprojekte bis hin zu Online-Plattformen, der Fachkräftemangel und die zunehmende Konkurrenz durch Industriebetriebe und ausländische Anbieter leichter bewältigen. Das Handwerk kann durch Kooperationen anspruchsvollen Kundenanforderungen besser begegnen und neue Absatzmärkte erschließen. Kurzum: Die Genossenschaft ist ein Zukunftsmodell fürs Handwerk“, sagt Landeshandwerkspräsident Rainer Reichhold.
BWGV-Präsident Dr. Roman Glaser fügt hinzu: „Megatrends wie die Globalisierung, der Fachkräftemangel oder die Digitalisierung stellen enorme Herausforderungen für kleine und mittlere Betriebe im Handwerk sowie auch in anderen Branchen dar. Um in solch einem Umfeld erfolgreich bestehen zu können, bietet die Rechts- und Unternehmensform der eingetragenen Genossenschaft mit ihren Grundwerten wie Solidarität, Eigenverantwortung und Nachhaltigkeit sowie einem zumeist lokal und regional verankerten Beziehungsnetzwerk einen innovativen und vielversprechenden Lösungsansatz. Handwerksbetriebe können als Genossenschaft gemeinsam große Herausforderungen meistern, ohne dabei ihre Eigenständigkeit aufgeben zu müssen. Der zentrale Gedanke von Friedrich Wilhelm Raiffeisen ,Was den Einzelnen nicht möglich ist, das vermögen viele‘ passt ideal in die heutige Zeit – ganz besonders im Handwerk.“
Die Potenziale von Genossenschaften sehen BWHT und BWGV vor allem in drei Bereichen:
1. Digitale Plattformen: Diese verändern die Wertschöpfungsprozesse radikal. Automobilhersteller oder auch Hersteller von Heiztechnik- und Smart-Home-Produkten haben dabei längst Fakten geschaffen und besetzen mit Plattformen zunehmend die Schnittstellen zum Endkunden, die vormals dem Handwerk vorbehalten waren. Das Handwerk muss deshalb neue Strategien für die Plattformökonomie entwickeln. Genossenschaftlich organisierte Plattformen können dabei das Experimentierfeld sein, um aufzuzeigen, wie dies in einer digitalisierten Wirtschaft gemeinsam funktionieren kann.
2. Dienstleistungsmanagement: Gewerke übergreifende Kooperationen ermöglichen es kleinen und mittleren Betrieben, ihren Kunden maßgeschneiderte Komplettangebote anbieten zu können – oder sie vereinfachen die Erschließung neuer Absatzmärkte. Durch die Gründung einer Dienstleistungsgenossenschaft kann es Handwerksbetrieben gelingen, langfristig eine verbindliche, nachhaltige und rechtlich abgesicherte Form der Wirtschaftskooperation einzugehen.
3. Betriebsgründung und -nachfolge: In den kommenden Jahren suchen immer mehr Betriebsinhaber Nachfolger. Die Rechts- und Unternehmensform der eingetragenen Genossenschaft (eG) kann hier eine Lösung sein, insbesondere wenn kein einzelner Nachfolger für die Übernahme eines Handwerksbetriebs zur Verfügung steht, sondern ein ganzes Team – zum Beispiel aus der Mitarbeiterschaft. Auf diese Weise lässt sich die Finanzierung, die Verantwortung und auch die Arbeit auf mehrere Schultern verteilen. Erste Erfahrungen mit genossenschaftlich organisierten Übergaben sind vielversprechend und zeigen, dass sich das genossenschaftliche Modell als interessante Perspektive für Handwerk und Mittelstand in Baden- Württemberg darstellt.
Reichhold und Glaser abschließend: „Das Handwerk kann diese Herausforderungen nicht alleine stemmen. Wir brauchen deshalb öffentliche Finanzierungsinstrumente für den Aufbau genossenschaftlicher Plattformmodelle, eine stärkere Integration der genossenschaftlichen Rechts- und Unternehmensform in die Gründungs- und Nachfolgeberatung und flankierende Landesprogramme, die die Mitarbeiterbeteiligung an Betriebsnachfolgelösungen fördern.“