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Traubenqualität 4.0

Traubenqualität
BWGV

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Die Winzer- und Weingärtnergenossenschaften stehen für rund 70 Prozent der Weinproduktion in den Anbaugebieten Baden und Württemberg. Die Prozesse laufen arbeitsteilig, indem die jeweiligen Genossenschaftsmitglieder Trauben erzeugen und die Genossenschaft diese zu Wein veredelt und sich um die Vermarktung kümmert. Die Weine werden fast ausschließlich innerhalb Deutschlands an den Lebensmitteleinzelhandel, den Fachhandel, die Gastronomie und an Endverbraucher verkauft. Gerade der deutsche Markt ist hochattraktiv für ausländische Weinproduzenten. Weit mehr als 50 Prozent der in Deutschland gekauften Weine stammen nicht von hier.

Des einen Freud ist aber auch des anderen Herausforderung. Den Kunden steht ein schier unglaubliches Weinangebot zur Verfügung, während sich die regionalen Produzenten in einem gesättigten Markt, der vor allem durch Verdrängung geprägt ist, behaupten müssen. In der Branche fällt auf, dass Weine aus dem Ausland häufig mit stattlichen Marketingbudgets aus teilweise staatlichen Mitteln ausgestattet sind. Zudem ist in der Produktenentwicklung Dynamik erkennbar.

Innovationskraft in Produktqualität umsetzen

Die stetige Verbesserung aller Prozesse sowie der Produkte ist auch für die genossenschaftlichen Weinerzeuger eine permanente Aufgabe. Für die Weine gilt der Grundsatz, dass Qualität im Weinberg entsteht. Gemeinsam mit den Mitgliedern wird daher laufend an dieser Stellschraube gedreht. Um die Innovationskraft im Weinbau in Produktqualität umzusetzen, müssen entsprechende Parameter bei der Traubenannahme im Herbst gemessen und erfasst werden. Das traditionell zur Verfügung stehende Qualitätsbewertungsverfahren für Trauben richtet sich nach den Oechslegraden, die maßgeblich vom Zuckergehalt der Trauben bestimmt werden. Weitere Qualitätsparameter können noch nicht erfasst werden. Viele Betriebe nehmen daher zusätzliche eine visuelle Inaugenscheinnahme vor.

In erster Linie dient momentan die Erfassung der Oechslegrade neben dem Gewicht als Basis für das Traubengeld der Mitglieder. Zudem orientiert sich die betriebsinterne Sortierung der Trauben in Qualitätsstufen an den Oechslegraden. Seit vielen Jahren werden Ansätze verfolgt, um eine gerechtere Bezahlung der Trauben, die sich auf mehr Parameter als allein Oechsle und gewogenes Gewicht stützt, zu erreichen. Als zusätzlichen, enorm wichtigen Effekt wünscht man sich, die angelieferten Trauben besser und gezielter der Weiterverarbeitung in die verschiedenen Weinlinien zuführen zu können.

Nahinfrarotspektroskopie in Erprobung

Auf der Suche nach einer „unbestechlichen“ und möglichst rechtssicheren Beurteilung weiterer wertbestimmender Inhaltsstoffe von Weintrauben wurde die Technologie der Nahinfrarotspektroskopie unter die Lupe genommen. Diese Technologie wird im Bereich anderer landwirtschaftlicher Produkte wie Getreide, Mehl, Ölfrüchte und Futtermittel bereits seit Längerem zur Beurteilung herangezogen. Der unschlagbare Vorteil ist, dass die Messung während der Verarbeitung sozusagen ohne zeitliche Verzögerung und Eingriffe in das Produkt möglich ist. Die Messergebnisse stehen unmittelbar zur Verfügung, so dass eine gezielte Sortierung der Trauben möglich wäre.

Im Rahmen eines Forschungsprojekts, das durch den Forschungskreis der Ernährungsindustrie gefördert wurde, wurde von 2010 bis 2014 geprüft, ob das Verfahren zur Messung von Traubeninhaltsstoffen geeignet ist. Aufgrund der positiven Ergebnisse hat die Raiffeisen-Stiftung ein weiteres Projektjahr gefördert. Nun gilt es, das Verfahren fit für den Praxiseinsatz zu machen.

Projektpartner ziehen an einem Strang

Zur Weiterentwicklung der Methodik für Weintrauben gründete sich eine sogenannte operationelle Gruppe, bestehend aus Winzer- und Weingärtnergenossenschaften beider Anbaugebiete, um gemeinsam mit dem wissenschaftlichen Partner, der staatlichen Lehr- und Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau in Weinsberg, Fördergelder aus dem Programm Europäische Innovationspartnerschaft (EIP) „Landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit“ zu beantragen. Geförderte Projekte sollen hierbei innovative Lösungen für praktische land- und forstwirtschaftliche Fragen- und Problemstellungen finden. Der Baden-Württembergische Genossenschaftsverband übernimmt die Rolle der Projektkoordination und ist Lead-Partner.

Unter vielen eingereichten Anträgen konnte das Konzept der Genossenschaften überzeugen und erhielt einen Zuschlag für die beantragten Fördergelder. In der Weinlese 2017 konnte daher mit den Praxisversuchen begonnen werden. Die Sensoren wurden in Baden und Württemberg jeweils in einer Erzeugergenossenschaft installiert und in Betrieb genommen. Die Sensoren liefen während der gesamten Ernte störungsfrei und sammelten fleißig Daten. Für die Referenzanalytik wurden von den Genossenschaften Proben von Trauben gezogen.

Die im Rahmen des Projekts eingesetzte Technologie der Nahinfrarotspektroskopie ist eine physikalische Analysentechnik, die im Bereich des kurzwelligen Infrarotlichts arbeitet. Der Sensor muss auf jeden Einsatz beziehungsweise auf jedes Produkt „geeicht“ werden. Dies geschieht, indem man dieselben Trauben mittels herkömmlicher Analysenmethodik untersucht und die Ergebnisse in den Sensor einspeist. Je mehr Analysen vorliegen, desto besser wird das System. Es lernt also. Man nennt dies Kalibrierung. Im Laufe des Frühjahrs 2018 werden nun die entsprechenden Analysen vom wissenschaftlichen Partner ermittelt. Neben dieser Kalibrierung, die essenziell für die Praxistauglichkeit des Sensors ist, werden im Projekt weitere begleitende Aspekte untersucht.

Infrarotspektroskopie fürs Klimawandel-Management?

Da auch der Weinbau sehr umfangreich von den Folgen der Klimaerwärmung betroffen ist, stehen gezielt Anpassungsstrategien im Projektplan. Man erhofft sich, mit Hilfe der Nahinfrarotspektroskopie die Auswirkungen des Klimawandels aktiv managen zu können. In Versuchen soll beispielsweise herausgefunden werden, welche Auswirkungen spezielle weinbauliche Maßnahmen auf die Traubengesundheit und -qualität haben und wie sich die Messparameter gegebenenfalls über die Jahre verändern. Zudem wird nach weiteren Parametern gesucht, die zur Darstellung von Traubengesundheit und Reife dienen können. Wer weiß, was mit Hilfe der Infrarotspektroskopie bei Trauben noch möglich ist? Das Projekt steht noch ganz am Anfang. Das innovative Potenzial ist enorm. Die nächsten Projektjahre werden zeigen, ob die Technologie Einzug in die Praxis finden kann.

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