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„Stolpersteine“ für das Ehepaar Grimminger

Stolperstein für Genossenschaftler Eugen Grimminger in Stuttgart
Stadtarchiv Crailsheim, Slg. Grimminger

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Wer kennt sie nicht, die kleinen quadratischen Messingtafeln in den Fußwegen, die die Lebensdaten von Verfolgten enthalten? Der Künstler Gunter Demnig hat 1995 begonnen, mit diesen Stolpersteinen an das Schicksal von Menschen zu erinnern, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt wurden. In Deutschland und 26 weiteren Ländern sind inzwischen über 90.000 Gedenksteine verlegt worden. Die Stolpersteine bilden damit weltweit das größte dezentrale Mahnmal. Zunächst standen die verfolgten Menschen jüdischer Herkunft im Mittelpunkt der Erinnerung, später wurde das Projekt Stolpersteine auf alle Opfer ausgedehnt.

Heute sind die Stolpersteine fester Bestandteil der Erinnerungskultur in Deutschland. Es gibt örtliche Initiativen, die sich um die Erstellung von Biografien und die Verlegung von Stolpersteinen kümmern. In Schülerprojekten wird über die Verfolgten geforscht. Ausstellungen und Internet-Portale informieren über die Lebensläufe der Opfer. Das Kunstprojekt von Gunter Demnig hat es geschafft, dass sich zahlreiche Bürgerinnen und Bürger mit dem Schicksal der verfolgten Menschen auseinandersetzen und somit der wahre Charakter der NS-Herrschaft als eine menschenverachtende Diktatur immer wieder erkennbar wird und nicht in Vergessenheit gerät.

Grimminger-Stolperstein im Stuttgarter Süden

Auf Initiative der Historiker-Genossenschaft eG, Hamburg, erhielt der Genossenschaftler Eugen Grimminger an seinem früheren Stuttgarter Wohnort in der Altenbergstraße 42 einen Stolperstein. Die Einweihung fand am 26. Oktober 2022 statt. Erinnert wurde dabei auch an Jenny Grimminger, deren Stolperstein wegen Bauarbeiten neu verlegt wurde. Es sprachen von der Stuttgarter Stolperstein-Initiative Werner Schmidt und von der Historiker-Genossenschaft eG deren Vorstand Dr. Holger Martens. Den musikalischen Rahmen gestaltete die Songgruppe „Die Marbacher“.

Molkereiinspektor und Oberrevisor

Eugen Grimminger wurde am 29. Juli 1892 geboren. Nach der Mittleren Reife absolvierte er eine Ausbildung im Verwaltungsdienst. Er wurde Soldat im Ersten Weltkrieg und übernahm nach dessen Ende öffentliche Aufgaben in der Ernährungswirtschaft, die vor allem die Mangelverwaltung betrafen. 1922 heiratete er Jenny Stern. In demselben Jahr wechselte Grimminiger zum Verband landwirtschaftlicher Genossenschaften in Württemberg e.V. in Stuttgart als Revisor. Sein Arbeitsschwerpunkt wurde die württembergische Milchwirtschaft. Es gelang ihm, diesen Zweig durch die Gründung zahlreicher Milchverwertungsgenossenschaften erfolgreich auszubauen. 1925 erhielt er als „Molkereiinspektor“ die Zuständigkeit für alle Molkereien im Verband. Als Oberrevisor übernahm Grimminger 1930 die Leitung der verbandlichen Prüfungsabteilung.

Von den Nazis verfolgt

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 sah sich das Ehepaar der Verfolgung ausgesetzt, da Jenny Grimminger jüdischer Abstammung war. Zwar konnte Eugen Grimminger seine Tätigkeit zunächst fortsetzen, nach einem Denunziationsschreiben eines NSDAP-Kreisleiters wurde er im Frühjahr 1935 allerdings vom Genossenschaftsverband entlassen. Eugen Grimminger machte sich als Bücherrevisor selbst ständig und betrieb in Stuttgart ab 1937 ein Treuhand- und Beratungsbüro. Nach der Reichspogromnacht 1938 half er jüdischen Freunden und politisch Verfolgten zur Flucht in die Schweiz. 

Unterstützung für die „Weiße Rose“

Als der mit ihm bekannte Robert Scholl im September 1942 darum bat, das eigene Wirtschaftstreuhandbüro während einer anzutretenden Haftstrafe zu betreuen, kam Eugen Grimminger in Kontakt mit Inge und Sophie Scholl, später auch mit Hans Scholl und Alexander Schmorell. Grimminger unterstützte den Kampf der jungen Aktivisten der „Weißen Rose“ gegen die NS-Diktatur mit mehreren Tausend Reichsmark. Nach der Verhaftung der Geschwister Scholl wurde Grimminger am 2. März 1943 gefangen genommen. Der gegen ihn wegen Hochverrat beantragten Todesstrafe entging er nur knapp. Der Volksgerichtshof verurteilte ihn am 19. April 1943 zu zehn Jahren Zuchthaus. Noch vor seiner Verurteilung wurde seine Frau verhaftet, später nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.

Nach seiner Befreiung am 22. April 1945 widmete sich Eugen Grimminger ab Juli 1945 wieder dem Genossenschaftswesen und wurde Verbandsdirektor (später Präsident) des Landesverbands landwirtschaftlicher Genossenschaften in Württemberg, eine Funktion, die er bis Ende 1958 ausübte.Eugen Grimminger verstarb am 10. April 1986 im Alter von 93 Jahren in Stuttgart.

Weitere Stolpersteine 

Das Projekt „Stolpersteine für Genossenschaftler“ wurde initiiert von der Historiker-Genossenschaft eG in Hamburg, Deutschlands führender Geschichtsagentur im Bereich Genossenschaftsgeschichte. Neben Eugen Grimminiger wurde bereits ein Stolperstein für August Ellinger in Hamburg verlegt. Weitere Patenschaften wurden für die bekannten Genossenschaftswissenschaftler Prof. Dr. Ernst Grünfeld und Prof. Dr. Georg Brodnitz übernommen, die einen Gedenkstein an ihrem letzten Wohnort in Berlin erhalten werden. Beide waren jüdischer Herkunft, Grünfeld nahm sich 1938 das Leben, Brodnitz wurde 1941 deportiert und ermordet. Ein weiterer Stolperstein ist für Dr. Andreas Hermes, dem früheren Präsidenten des Deutschen Raiffeisenverbands, der sich an den Widerstandsaktivitäten im Zusammenhang mit dem Attentat vom 20. Juli 1944 beteiligte, angemeldet.

Mit der Aktion „Stolpersteine für Genossenschaftler“ möchte die Historiker-Genossenschaft darauf aufmerksam machen, dass es auch im Genossenschaftsbereich zahlreiche Opfer nationalsozialistischer Verfolgung gab, deren Schicksal weitgehend unbekannt ist. Die Lebensläufe dieser Menschen mit ihrem Engagement, ihren Hoffnungen und ihren Enttäuschungen sollen nicht in Vergessenheit geraten, sondern eine Würdigung erfahren.

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