Springe direkt zum Inhalt , zum Menü .

Prosumer-Energiehandelsplattform als Energieversorger von morgen

Energiehandelsplattform EWS und Oxygen Technologies GmbH
Oxygen Technologies GmbH

/

Die deutsche Energieversorgung befindet sich in einem umfassenden Wandel. 1990 basierte die Stromversorgung noch auf vergleichsweise wenigen Großkraftwerken. Laut Bundesnetzagentur waren 1990 485 Kraftwerke mit Nennleistungen über 10 Megawatt (MW) am deutschen Stromnetz1. Dies entspricht einer installierten Gesamtleistung von 75,5 Gigawatt (GW). Im Jahr 2017 speisten 712 Großanlagen mit einer Nennleistung über 10 MW in das deutsche Stromnetz ein. Die installierte Gesamtleistung betrug 100,0 GW. Obwohl die Bruttostromerzeugung von 1990 bis 2017 um 17 Prozent auf 654,8 Milliarden Kilowattstunden (kWh) angestiegen ist, reduzierte sich die Stromerzeugung der konventionellen Großkraftwerke in dieser Periode um 20,4 Prozent2.

Gefördert durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) wurden gleichzeitig bis 2017 mehr als 2,67 Millionen erneuerbare Stromerzeugungsanlagen mit Nennleistungen unter 10 MW installiert. Das entspricht einer installierten Gesamtleistung von 99,7 GW und damit einem Kraftwerkspark, welcher mit der bisherigen fossilen Stromversorgung aus Großkraftwerken, bezogen auf die installierte Nennleistung, ebenbürtig ist. Damit übernehmen immer mehr Erzeugungsanlagen die Stromversorgung, die durchschnittlich um den Faktor 3.750 kleiner sind als die herkömmlichen fossilen Großkraftwerke. Neben dieser massiven Änderung des Mengengerüsts entstehen in der Energieversorgung von morgen weitere Herausforderungen:

  • Die Stromerzeugung ist bei Erneuerbare-Energien-Anlagen abhängig von der Wettersituation. Damit sind diese Erzeugungsanlagen nur bedingt regelbar.
  • Die Kleinanlagen sind nicht mehr im Eigentum großer Kraftwerksbetreiber, sondern oft in der Hand von Privatpersonen. Damit wird der reine Verbraucher zum Prosumer, ein Mischwort aus dem englischen „Producer“ und „Consumer“.

Schaltbare Verbraucher rücken in den Fokus

Auch weiterhin besteht in der Energieversorgung die physikalische Notwendigkeit, dass ins Stromnetz eingespeister Strom gleich dem verbrauchten (ausgespeisten) Strom sein muss. Neben regelbaren Erzeugern wie beispielsweise Blockheizkraftwerken (BHKW) rücken auch schaltbare Verbraucher in den Fokus, um die physikalische Herausforderung der Zeitgleichheit zwischen Erzeugung und Verbrauch zu realisieren. Als schaltbare Verbraucher kommen dabei Verbraucher in Frage, die den Wärme- und Stromsektor durch Wärmepumpen oder Kühl- und Klimageräte koppeln. Aber auch stationäre und mobile elektrische Speicher (zum Beispiel Elektroautos) können als steuerbare Verbraucher – und auch „Erzeuger“ – eingesetzt werden. Die Zahl stationärer Speicher ist in den vergangenen Jahren rasant gestiegen und beläuft sich heute bundesweit bereits auf 22.517 Speicher3.

Der Ausgleich zwischen Stromverbrauch und Stromerzeugung ist also nicht mehr so einfach wie in einer Welt aus wetterunabhängigen, fossilen Großkraftwerken. Bei einer überschaubaren Anzahl von Kraftwerken konnte diese Abstimmung bisher noch mehr oder weniger „manuell“ erfolgen. Automatisierung und damit moderne Regelungstechnik und IT werden notwendig, um auch in einer Zeit von Millionen dezentralen, wetterabhängigen Erzeugungsanlagen und schaltbaren Verbrauchern den Ausgleich zwischen Stromerzeugung und Stromverbrauch in jeder Minute zu ermöglichen.

Zwei Ansätze in der Diskussion

Nach welchem Regelungsmodell das Stromgleichgewicht am effektivsten gehalten werden kann, ist noch offen. Aktuell werden im Wesentlichen zwei Ansätze diskutiert:

  • der Virtuelle Kraftwerksansatz, bei der die zentrale Schalthoheit über schaltbare Verbraucher und Erzeuger der Betreiber des Virtuellen Kraftwerks (zum Beispiel der Energieversorger) aus der Ferne hat.
  • der Peer-to-Peer Ansatz (Peer: aus dem Englischen „Gleichgestellter“), bei dem jeder Verbraucher/Prosumer über eine verteilte Stromhandelsplattform, ohne einen Energieversorger, direkt von einem anderen Prosumer Strom bezieht beziehungsweise seine überschüssige Energie diesem verkauft.

Im virtuellen Kraftwerk laufen beim Stromversorger alle Fäden zusammen, der Stromversorger schließt Verträge mit den Besitzern der Erzeugungsanlagen und Speicher, erhält Zugriffsrechte, um die dezentralen Anlagen ansteuern zu können, und sorgt für das Zusammenspiel zwischen Stromerzeugung und Strombedarf. Der Nachteil: Ein zentrales System ist anfällig und erfordert einen hohen Aufwand bei der Integration neuer Anlagen und Schaltmöglichkeiten. Durch die zentrale Struktur ist ein solches System auch vergleichsweise träge und innovationsfeindlich. Zusätzlicher Aspekt: Der Stromversorger muss einen vollständigen Einblick in alle Informationen und Daten der Kundenanlage erhalten, um diese sinnvoll bewirtschaften zu können. Dies stellt hohe Anforderungen an den Datenschutz.

Der Peer-to-Peer-Ansatz (P2P) basiert auf dem Gedanken einer Handelsplattform, mit der automatisiert Strom gehandelt wird. Steht ausreichend Strom zur Verfügung, fällt der Preis. Schaltbare Erzeuger wie BHKWs werden abgeschaltet und Batteriespeicher geladen. Im umgekehrten Fall führt Stromknappheit zu höheren Preisen und dem Zuschalten von BHKWs, Speicherkraftwerken oder Batteriespeichern. Im Gegensatz zum zentralistischen Ansatz eines virtuellen Kraftwerks wird das Preissignal des Markts genutzt, um die Stromerzeugungs- und Stromspeicherkapazitäten zu regeln. Die Entscheidung, „Verbraucher“ und/oder „Erzeuger“ ein- beziehungsweise auszuschalten, wird in diesem System nicht zentral vom Stromversorger organisiert. Der einzelne Prosumer entscheidet anhand des aktuellen Strompreises mittels eines Softwareautomaten, ob Anlagen ein- oder ausgeschaltet werden.

Den Anreiz für diese Entscheidung bietet der Strompreis der Handelsplattform, der jeweils mit einer Auflösung von einer Minute neu ausgehandelt wird. Der wesentliche Vorteil: Verbrauchsdaten und spezielle Informationen zu den Erzeugungs- und Verbrauchsanlagen der Prosumer müssen nicht zentral übermittelt und ausgewertet werden. Der notwendige Informations- und Datenaustausch zwischen Prosumer und Stromversorger ist wesentlich geringer. Die Herausforderungen, einen hohen Datenschutzstandard zu gewährleisten, reduzieren sich damit erheblich.

Geschäftsbeziehung auf den Kopf gestellt

Die Einführung eines P2P-Systems, bei dem Verbraucher zu Stromlieferanten auch an Dritte, zum Beispiel in der Nachbarschaft, werden, stellt die heutige Stromlieferant/Stromkunde Beziehung auf den Kopf. Das heutige Energieversorgungsunternehmen wird zum Betreiber einer Energiehandelsplattform und verantwortet den sicheren Betrieb der Peer-to-Peer Energiehandelsplattform. Offene Fragen in dieser neuen Kundenbeziehung betreffen neben den Kosten des Strombezugs auch die Vergütung für die Rückspeisung, die Rahmenbedingungen der Einspeisung, Zugriffsmöglichkeit des Stromversorgers auf schaltbare Erzeuger und Lasten, technische Grenzwerte für die Schaltbarkeit der Prosumer-Anlage, IT-Schnittstellen zur Kommunikation usw. Der Wandel zu einer „Prosumer-Geschäftsbeziehung“ ist daher deutlich aufwändiger als der Abschluss eines heutigen Stromliefervertrags. Der Strommarkt steht vor neuen Herausforderungen, aber auch neuen Chancen.

Exkurs: Einfamilienhaus mit Photovoltaikanlage und Stromspeicher

Das Beispiel (siehe Abbildung 1) zeigt den Tagesgang der Stromerzeugung und des Verbrauchs eines typischen Einfamilienhauses mit einer 3,5-kW-Photovoltaikanlage. In der Erweiterung des Beispiels wird ein Batteriespeicher mit 15 kWh Kapazität hinzugefügt. Dieser Speicher wird entweder eigenverbrauchsoptimiert (siehe Abbildung 2) oder eigenverbrauchsoptimiert und netzdienlich betrieben (siehe Abbildung 3). In beiden Fällen ist die Speicherladung zu Tagesbeginn identisch mit der Speicherladung am Tagesende.

Abbildung 1 zeigt die klassische Situation: Auf einem Einfamilienhaus ist eine Photovoltaikanlage installiert. Nachts muss der komplette Strombedarf über das Stromnetz abgedeckt werden. Tagsüber produziert die Photovoltaikanlage (im Beispiel ein wolkenloser Tag im Mai) Strom, der mit einer Spitzenlast von fast 3 kW ins allgemeine Stromnetz rückgespeist wird.

Das Modell wird in Abbildung 2 um eine Batterie erweitert. Diese Batterie ist vom Vortag bereits teilweise geladen, so dass bis Sonnenaufgang zur Deckung des Strombedarfs der vorhandene Batteriestrom ausreicht und kein Strom aus dem Stromnetz bezogen werden muss. Nach Sonnenaufgang startet die Stromerzeugung der Photovoltaikanlage. Im ersten Schritt wird der Eigenbedarf abgedeckt. Übersteigt die Erzeugung den lokalen Bedarf, wird die Batterie aufgeladen. Ist die Batterie voll, wird der gesamte Überschussstrom wiederum ins Netz eingespeist. In diesem Modell wird die Batterie vorrangig aufgeladen. Ist die Batterie voll, erfolgt schlagartig die Umstellung auf Einspeisebetrieb. Mit dieser Regelstrategie muss das vorgelagerte Stromnetz die identischen Spitzen abdecken wie ohne Batteriespeicher. Der Speicher erbringt keinerlei Vorteil für den Netzbetreiber.

In Abbildung 3 wird derselbe Speicher mit demselben Ladungszustand um 0:00 Uhr zugleich eigenverbrauchsoptimiert wie auch netzdienlich gesteuert. Dies bedeutet, dass vor Sonnenaufgang und nach Sonnenuntergang Strom aus der Batterie in das Stromnetz eingespeist wird. Ziel ist es, einerseits Nachbarn ohne Batterie mit lokal erzeugtem Photovoltaikstrom zu versorgen, andererseits aber auch genug „Platz“ im Speicher zu schaffen, um die „Mittagsspitze“ einspeichern zu können. Der Anteil des selbstverbrauchten Photovoltaikstroms ist absolut identisch mit dem Modell in Abbildung 2. Dem Betreiber des Batteriespeichers entstehen keine Nachteile gegenüber Abbildung 2. Das Stromnetz wird jedoch deutlich weniger belastet. Die Einspeisespitze mittags wird um ein Drittel reduziert. Zusätzlich kann der lokale Speicher nachts Nachbarn ohne Batterie mitversorgen und damit Leitungskapazitäten auf der übergeordneten Ebene überflüssig machen.

Zu beachten ist: Die drei Beispiele sind nur eine sehr einfache Modellbetrachtung. Wenn in diesen Gedankenspielen zusätzliche Technologien wie ein Elektroauto oder eine Wärmepumpe einbezogen werden und dann noch wechselhaftes Wetter, unterschiedliche Tageslängen und schwankende Stromverbräuche mit zu berücksichtigen sind, wird deutlich: Die dezentrale Abstimmung zwischen Verbrauch und Erzeugung ist eine hochkomplexe regeltechnische Herausforderung. Die Vorteile aus Sicht des Stromnetzbetriebs sind enorm: Gelingt es, die auftretenden Lastspitzen im Netz zu reduzieren, dann lassen sich erhebliche Investitionen für den Ausbau und den Betrieb der Stromnetze einsparen und den Anteil Erneuerbarer Energien in der Stromversorgung nachhaltig steigern.

Wir erwarten, dass das Auslaufen des Einspeisevorrangs für EEG-Anlagen nach Ende des 20-jährigen Förderzeitraums ab 2021 zu einem Innovationsschub für neue Prosumer-Modelle führen wird. Wir arbeiten intensiv an neuen Angeboten für die Energiewelt der Zukunft.

1Kraftwerksverzeichnis, Bundesnetzagentur 2018
2ARGE Energiebilanzen 2018
3Agentur für Erneuerbare Energien 2018

Energiehandelsplattformen
Abbildung 1
Energiehandelsplattform
Abbildung 2
Energiehandelsplattform
Abbildung 3
Energiehandelsplattform
Automatisierung und damit moderne Regelungstechnik und IT werden notwendig, um auch in einer Zeit von sehr vielen dezentralen, wetterabhängigen Erzeugungsanlagen und schaltbaren Verbrauchern den Ausgleich zwischen Stromerzeugung und Stromverbrauch in jeder Minute zu ermöglichen.

 

Artikel versenden