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Plattform-Genossenschaften verknüpfen Grundprinzipien des Digitalen und der Genossenschaftsidee

Plattformökonomie
S. Hofschlaeger / pixelio.de

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Digitalisierung ist ein zentrales Thema für Industrie, Banken, Versicherungen, Handel, Handwerk, Dienstleistungen, Landwirtschaft. Der digitale Transformationsprozess in Wirtschaft und Gesellschaft hat sich in den zurückliegenden mehr als zwei Pandemie-Jahren noch einmal deutlich beschleunigt. Dabei gilt: Natürlich ist Digitalisierung gleichermaßen eine emotionale, finanzielle, zeitliche und personelle Herausforderung gerade für kleine und mittlere Unternehmen (KMU). Doch ebenso ist sie eine große Chance, um dem zunehmenden Wettbewerbsdruck im Markt zu begegnen, das gewohnte Geschäftsmodell zu hinterfragen, Optimierungen von internen Prozessen anzugehen, aber auch um zusätzliche Märkte und Kunden zu generieren. Bei der Einführung digitaler Möglichkeiten können Genossenschaften, insbesondere KMU, effiziente und praktikable Lösungen liefern: durch das Instrument der Kooperation. Denn Genossenschaften bieten die Möglichkeit der zielgerichteten und verbindlichen Zusammenarbeit, ohne dass die Kooperationspartner ihre rechtliche Selbständigkeit aufgeben müssen – ein hohes Gut in einem kompetitiven Umfeld.

Die Kooperation im Rahmen einer Genossenschaft bietet besonders in drei Bereichen Vorteile:

1. Open Innovation/Co-Creation

Unterschiedliche Unternehmen arbeiten gemeinsam an der Entwicklung und Organisation von Innovationen. Dies ist besonders relevant in den Bereichen IT und Forschung & Entwicklung sowie im Bereich der künstlichen Intelligenz. Ein gutes Beispiel ist die OSADL eG aus Heidelberg, die zum Ziel hat, gemeinsame Software-Komponenten für die Automatisierungsindustrie zu entwickeln. Zwei wesentliche Aufgaben stellen sich die Mitgliedsunternehmen mit der Genossenschaft: Wie kann ein Unternehmen die hohen Kosten für Grundlagenforschung und Entwicklung aufbringen? Und wie werden einzelne Entwicklungstätigkeiten ausgewählt, wenn die finanziellen Möglichkeiten nicht für alle wünschenswerten Entwicklungen ausreichen? Die Antwort war ein Open-Innovation-Projekt für gemeinsame Forschung und Entwicklung von Unternehmen, die im Markt durchaus als Konkurrenten auftreten können.

2. Share Economy

Hierbei werden Ressourcen – von Autos und Fahrräder über 3D-Drucker bis zu Büroräumen oder gemeinsamen Lieferdiensten von Händlern – kooperativ geteilt. Durch die Digitalisierung gewinnen diese Share-Economy-Dienste immer mehr an Bedeutung. Als erfolgreiches Beispiel dient die teilAuto Neckar-Alb eG, die als Carsharing-Unternehmen mit mehr als 140 Fahrzeugen in Tübingen, Reutlingen und im Zollern-Alb-Kreis aktiv ist, eine Kooperation mit den Stadtwerken eingegangen ist und darüber hinaus auch ein soziales Mobilitätskonzept für ältere Bürgerinnen und Bürger unterstützt.

3. Plattformökonomie

Plattformen bieten Produkte und Dienstleistungen meist nicht selbst an, sondern vermitteln zwischen Händlern und Konsumenten oder Herstellern und Kunden. Genossenschaften bieten das Potenzial, solche Plattformen unter Eigenregie der Mitglieder zu entwickeln und zu nutzen. Die Plattformökonomie verdient im aktuellen Umfeld eine detailliertere Betrachtung, da sie das zentrale Geschäftsmodell der digitalen Ökonomie ist. Viele der wertvollsten Unternehmen sind inzwischen der Plattformökonomie zuzurechnen, darunter Google, Facebook oder Amazon. Sie folgen dabei einem ökonomischen Verständnis der Plattformen als Vermittler zwischen Anbietern und Nachfragern. Das Spektrum der Plattformen reicht dabei von klassischen Produkt-Marktplätzen wie Ebay bis zu hoch spezialisierten Industrieplattformen, beispielsweise im Bereich Maschinenbau, der Automobilindustrie oder Elektrotechnik.

Im Grunde genommen erfinden diese Plattformen das Rad nicht neu, sie verallgemeinern lediglich bereits bestehende Marktprinzipien. Das Taxi-Unternehmen Uber besitzt keine Autos. Der Händler Alibaba unterhält kein Lager. Facebook erzeugt keine Inhalte. Und dem Zimmeranbieter Airbnb gehören keine Wohnungen. Derzeit profitieren von der Plattformökonomie besonders global agierende Großunternehmen. Als Intermediäre schieben sie sich zwischen etablierte Anbieter-und-Nutzer-Beziehungen und greifen dort einen großen Teil der Wertschöpfung ab. Doch auch für kleine und mittlere Unternehmen bestehen Chancen, dieses Geschäftsmodell mit Hilfe von Kooperationen und Plattform-Genossenschaften zu nutzen. So können sich Möglichkeiten beispielsweise für den (regionalen) Handel eröffnen, um im Wettbewerb mit dem reinen Online-Handel zu bestehen.

Vier Grundprinzipien

Plattform-Genossenschaften verbinden vier Grundprinzipien des Digitalen und der Genossenschaftsidee miteinander:

  1. Plattform-Genossenschaften bieten Personen und Unternehmen den Vorteil der kollektiven Eigentümerschaft. Das heißt, die Daten, Algorithmen und die Technologie der Plattform gehören den Genossenschaftsmitgliedern.
  2. Damit können sie deren Anwendung und Verbreitung nach den demokratischen Grundsätzen von Genossenschaften selbst steuern und kontrollieren.
  3. Die Organisation über Genossenschaften bietet dabei die Möglichkeit des Co-Designs der Plattform durch die Mitglieder, so dass die Software genau auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten ist.
  4. Der Open-Source-Ansatz stellt zudem sicher, dass Weiterentwicklungen nicht jedes Mal neu zu generieren sind.

Es gibt zahlreiche Beispiele dafür, wie Plattformen in Form von Genossenschaften gut funktionieren können, zum Beispiel Coopify, eine Genossenschaft für häusliche Dienstleistungen in New York, die über eine App beispielsweise Putzdienste vermittelt und dabei den Arbeitenden selbst gehört. Oder die kanadische Fotoplattform Stocksy, die sich in Besitz der Fotografen befindet. Die Beispiele zeigen, dass Plattformgenossenschaften vor allem dort Erfolg haben, wo sie lokal verankert sind oder ein sehr spezielles Feld bedienen.

Drei Arten von Plattform-Genossenschaften

Der BWGV verfolgt aktuell drei unterschiedliche Ansätze, um die Gründung von Plattform-Genossenschaften zu unterstützen:

1. Lokale Handels- und Dienstleistungsplattformen

Durch die Vernetzung der lokalen Akteure (online und offline) können genossenschaftlich organisierte Plattformen Handels-, Dienstleistungs- und Behördenangebote bündeln und damit die Wirtschaft vor Ort stärken. Solche Online-Portale stellen einen Marktplatz für lokale Geschäfte und regionale Produkte und Dienstleistungen zur Verfügung. Die Wertschöpfung bleibt vor Ort. Über die Einbindung der Volksbanken und Raiffeisenbanken vor Ort kann die Finanzierung unter Ausschöpfung von staatlichen Fördermitteln gesichert werden.

2. Industrie- und Wirtschaftsplattformen

Plattformbasierte Applikationen werden auch im industriellen Umfeld zum entscheidenden Differenzierungsfaktor. Doch KMU können es meist aus Zeit-, Kompetenz- und Ressourcengründen nicht leisten, in Eigenregie solch ein Plattformsystem aufzubauen. Über eine Genossenschaft kann der Aufbau einer Plattform gemeinschaftlich vorangetrieben werden, ohne dabei die eigene Selbstständigkeit aufzugeben.

3. Spezifische (Branchen-)Plattformen

Genossenschaftliche Plattformen haben beispielsweise im Handwerk großes Potenzial. Denn das Handwerk hat in Zeiten von digitalen Geschäftsmodellen und Plattformen einen entscheidenden Vorteil: Anders als zum Beispiel die großen Digitalkonzerne, die führend im Bereich der Plattformtechnologie sind, verfügt das Handwerk über ein tiefgreifendes Prozess-Know-how. Und auch im Bereich der Pflege ist eine genossenschaftliche Plattformlösung denkbar, die Pflegedienstleister vernetzt und deren Angebot bündelt, um dem Kunden einfach und schnell gefragte Versorgungsoptionen aufzuzeigen.

Fazit

Zusammenfassend bleibt festzuhalten: Die Digitalisierung bietet zahlreiche Chancen für die Wirtschaft. Um diese Chancen zu nutzen, ist die Kooperation innerhalb und über Branchen hinweg essenziell. Die Rechts- und Unternehmensform der eingetragenen Genossenschaft bietet hierzu die Möglichkeit. Dies gilt insbesondere im Bereich der Plattformökonomie. Dieses Potenzial sollte genutzt werden, um gerade kleine und mittelständische Unternehmen in einer globalen Wirtschaft wettbewerbsfähig zu machen oder zu halten.

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