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Nachhaltigkeit: Zukunftsthema in der Anlageberatung – ein Interview

Nachhaltigkeit in der Geldanlage
I-vista / pixelio.de

Union Investment hat über 300 Bankberaterinnen und -berater aus Genossenschaftsbanken, Sparkassen und privaten Geschäftsbanken nach ihrem Wissensstand zum Thema nachhaltige Geldanlage befragt und ein Meinungs- und Stimmungsbild dazu eingeholt. Über die Ergebnisse sprach die Geno-Graph-Redaktion mit Anja Bauermeister, Abteilungsleiterin Publikumsfonds bei Union Investment.

Frau Bauermeister, wie wichtig ist den Deutschen Nachhaltigkeit bei ihren Geldanlagen?

Anja Bauermeister, Abteilungsleiterin Union Investment
Anja Bauermeister, Abteilungsleiterin Publikumsfonds bei Union Investment

Bei der Entscheidung für eine Geldanlage setzen Anlegerinnen und Anleger nach Einschätzung der Befragten zwar weiter vorrangig auf klassische Anlageaspekte wie Vermögensbildung und Altersabsicherung sowie eine Rücklage für Notfälle. Unabhängig vom jeweiligen Sparziel steht für die Mehrheit die Sicherheit der Geldanlage klar im Vordergrund und ist das wichtigste Anlagekriterium. Sechs von zehn Befragten sagen dies. Fragt man allerdings nach dem zweitwichtigsten Anlagekriterium, so hat Nachhaltigkeit bereits einen hohen Stellenwert: Mit 17 Prozent der Nennungen liegt Nachhaltigkeit fast auf dem Niveau der Liquidität der Geldanlage (21 Prozent) und ist demnach für ein Drittel der Sparerinnen und Sparer ein relevanter Aspekt bei der Anlageentscheidung. Nachhaltigkeit wird übrigens in den meisten Fällen erst dann zum Thema, wenn Kundinnen und Kunden im Gespräch auf diese Möglichkeit und die Bedeutung für die Geldanlage hingewiesen werden.

Hat die Corona-Pandemie etwas an der Einstellung der Anlegerinnen und Anleger zu Nachhaltigkeit geändert?

Nein, an der Bedeutung von Nachhaltigkeit haben auch die Eindrücke der Corona-Pandemie nichts geändert, wie eine ergänzende Nachbefragung von 75 Bankberaterinnen und -beratern im Mai ergab. Lediglich der Aspekt der Liquidität gewann krisenbedingt erheblich an Relevanz. Im Vergleich zur ursprünglichen, vorhergehenden Befragung verzeichneten wir einen Anstieg von 6 auf 13 Prozent der Nennungen bei der Frage nach dem wichtigsten Anlagekriterium. Ansonsten hat sich bei den grundsätzlichen Einschätzungen zur Geldanlage wenig bewegt.

Wie sehen die Befragten in den Banken die Zukunft?

Perspektivisch gehen Beraterinnen und Berater davon aus, dass die Nachfrage nach nachhaltigen Investments in den kommenden Jahren dynamisch wachsen wird: Während nachhaltige Geldanlagen nach Ansicht von 65 Prozent der Befragten auf Sicht von zwölf Monaten wichtig oder sehr wichtig sein werden, prognostizieren dies auf Sicht von fünf Jahren sogar 90 Prozent. Dieser Wert wurde auch im Rahmen der Nachbefragung bestätigt. Diese Einschätzung ist auch unsere Überzeugung.

Viele Sparerinnen und Sparer bringen dies aber nicht mit ihrer Geldanlage in Verbindung. Woran liegt das?

Das liegt unter anderem am aktuell eher niedrigen Kenntnisstand bezüglich Nachhaltigkeit, mit dem ein entsprechend hoher Informationsbedarf auf beiden Seiten einhergeht: bei den Beraterinnen und Beratern, aber auch ihrer Kundschaft. Unsere Befragung zeigt, dass die befragten Beraterinnen und Berater die Nachhaltigkeitskenntnisse eines erheblichen Teils ihrer Kundschaft (40 Prozent) als eher gering einstufen. Gleichzeitig schätzt die Mehrheit (53 Prozent) auch den Schulungsbedarf innerhalb der Banken als hoch oder sehr hoch ein. Allein das steigende Interesse privater Anlegerinnen und Anleger an Nachhaltigkeit führt also noch nicht zu einer eingehenden Auseinandersetzung mit diesem vielschichtigen Begriff. Hier ist eine Übersetzungsleistung in der Anlageberatung gefragt.

Welche Aspekte von Nachhaltigkeit stehen bei den Menschen im Fokus?

Die Beraterinnen und Berater selbst verbinden mit Nachhaltigkeit vor allem ökologische Aspekte (93 Prozent, Mehrfachnennungen waren möglich). Ethische und soziale Aspekte werden ebenfalls häufig genannt (jeweils 86 Prozent). Weniger wichtig erscheint den Befragten dagegen bislang die Governance, das heißt, die Qualität der Aufsichtsstrukturen und der Führung eines Unternehmens oder Staates (67 Prozent). Die meisten Menschen richten also ihren Fokus weniger auf die ökonomische Wirkung von Nachhaltigkeit als vielmehr auf die Themen, denen sie auch in ihrem Alltag begegnen.

Dieser Alltag könnte sich demnächst aber schon auf die Geldanlage ausweiten, denn künftig werden Anlegerinnen und Anleger nach ihrer Präferenz beim Thema Nachhaltigkeit gefragt, wenn sie eine Beratung erhalten.

Das ist richtig. Allerdings sind die neuen gesetzlichen Anforderungen bis jetzt größtenteils unbekannt. Es ging bislang keine breite öffentliche Diskussion zu politischen Beschlüssen auf diesem Gebiet einher. Daher verwundert es nicht, dass vielen Anlageberaterinnen und -beratern die gesetzlichen Anforderungen noch nicht bekannt sind. So gaben 95 Prozent der Befragten an, den EU-Aktionsplan für eine nachhaltige Ausrichtung des Finanzwesens nicht oder ungenau zu kennen.

Und fast die Hälfte derer, die wir befragt haben (48 Prozent), ist noch nicht bekannt, dass sie voraussichtlich ab Ende nächsten Jahres dazu verpflichtet werden sollen, im Beratungsgespräch nach Nachhaltigkeitspräferenzen zu fragen. Gleichzeitig halten schon heute 53 Prozent der Beraterinnen und Berater die regulatorischen Anforderungen für zu komplex. Dies stellt uns vor die Aufgabe, unsere Partnerbanken auf die bevorstehenden Herausforderungen vorzubereiten und auf die Chancen hinzuweisen, die das Thema in der Beratung bietet.

Welche Hemmnisse bestehen außer der Komplexität noch?

Die Hälfte der Befragten weist darauf hin, dass sehr unterschiedliche individuelle Wertegerüste der Kundinnen und Kunden ein Problem darstellen könnten, denn Nachhaltigkeit bedeutet für jeden etwas Anderes. Es fehlt mehr als vier von zehn Befragten auch eine einheitliche Definition von Nachhaltigkeit. Dieses Ergebnis unserer Studie belegt die Hoffnung auf einheitliche Nachhaltigkeitsstandards. Es ist unglücklich, dass das angekündigte Klassifizierungssystem der Europäischen Union erst nach Einführung der Nachhaltigkeitspräferenzabfrage zur Verfügung stehen dürfte. Das kann für Unsicherheit in der Beratung sorgen. Umso wichtiger wird es, das individuelle Nachhaltigkeitsverständnis jedes Kunden im persönlichen Beratungsgespräch zu erfassen.

Eine weitere Herausforderung stellt der fehlende Wirkungsnachweis nachhaltiger Aktivitäten oder Investments dar. Nachhaltigkeit muss sich für Anleger rentieren – nicht nur im monetären Sinne. So werden sich die Produktanbieter daher auch stärker mit der Wirkungsanalyse nachhaltiger Anlagekonzepte auseinandersetzen müssen. Hier stehen wir erst am Anfang.

Hemmnisse bei der Nachhaltigkeitsberatung

 

Plus Nachbefragung wegen Corona

Für die Studie hat das Marktforschungsinstitut Ipsos im Auftrag von Union Investment insgesamt 301 Anlageberater in Deutschland befragt, davon 101 aus Genossenschaftsbanken, 101 aus Sparkassen und 99 aus privaten Geschäftsbanken. Die Befragung erfolgte telefonisch von Dezember 2019 bis Februar 2020. Eine ergänzende Nachbefragung von 75 Beratern zur Relevanz und Bedeutung von Nachhaltigkeit auch unter Eindruck der Corona-Krise wurde im April und Mai 2020 durchgeführt.

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