„Die elementare Bedeutung der Genossenschaften für die Wirtschaftskraft und Zukunftsfähigkeit unseres Landes muss von der Politik noch stärker anerkannt werden. Die künftige Bundesregierung muss Genossenschaften stärken und deren Förderung explizit im Koalitionsvertrag verankern“, sagte Dr. Ulrich Theileis, Präsident des Baden-Württembergischen Genossenschaftsverbands, am Montagabend (17.02.) in Stuttgart. Beim Zukunftsforum Genossenschaft machte Theileis deutlich, dass unter dem Dach des BWGV rund 740 mittelständische genossenschaftliche Unternehmen mit 32.000 Mitarbeitenden in mehr als 50 verschiedenen Branchen tätig sind. Getragen werden diese von 3,9 Millionen Genossenschaftsmitgliedern. „Wir sind eine der mitgliederstärksten Wirtschaftsorganisationen im Land“, so Theileis vor zahlreichen Landespolitikerinnen und -politikern – darunter Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der Schirmherr des diesjährigen „baden-württembergischen Jahrs der Genossenschaften“ ist.
Kretschmann sagte beim Zukunftsforum: „Baden-Württemberg ist ein echtes Genossenschaftsland, das kooperative Wirtschaften hat eine sehr lange Tradition bei uns. Diese Präsenz der Genossenschaften im Alltag der Menschen prägt unser Land nicht nur zutiefst, es macht uns auch auf vielfältige Weise stärker. Genossenschaften spielen in vielen Bereichen eine wichtige Rolle, in der Wirtschaft, beim Thema Wohnen, im Gesundheitswesen, bei der Bildung, im Finanzsektor und auch bei aktuellen Zukunftsthemen wie dem Klimaschutz. Und bei all diesen Aktivitäten leben die Genossenschaften vor, wie eine Wirtschaft funktionieren kann, die von sozialer Verantwortung geleitet wird und im Einklang mit den Interessen der Gesellschaft steht. Als Landesregierung erleben wir regelmäßig: Wenn es darum geht, unser Land voranzubringen, dann ist der Genossenschaftsverband ein lösungsorientierter und verlässlicher Partner. Wir sind sehr froh, dass sich die Genossenschaften in Baden-Württemberg so vielfältig engagieren und uns bei den anstehenden Herausforderungen zur Seite stehen.“
Daran knüpfte auch Theileis an: „Genossenschaften sind noch viel mehr als Wirtschaftsunternehmen. Sie sind Schulen der Demokratie. Bei allen grundlegenden Entscheidungen können die Mitglieder gleichberechtigt mitbestimmen.“ Daher erhofft sich der BWGV-Präsident vom „baden-württembergischen Jahr der Genossenschaften“ eine Signalwirkung auch in Richtung Hochschulen und Gründungszentren. „Die eG, die eingetragene Genossenschaft, ist als Unternehmensform bei vielen Gründern nicht hinterlegt. Das muss sich ändern“. Denn gerade auch für Zukunftsbranchen seien Genossenschaften hervorragend geeignet – nicht zuletzt im Bereich der Daseinsvorsorge. Genossenschaften sind immer mehr in den Bereichen Pflege, medizinische Versorgung und innovative Wohnquartiere aktiv. Aktuell gibt es im Südwesten 28 Gesundheitsgenossenschaften, darunter 15 Medizinische Versorgungszentren (MVZ). Und die rund 165 Energiegenossenschaften tragen zur Energie- und Wärmewende bei.
„Damit sich die Genossenschaften in diesen Zukunftsfeldern weiter gut entwickeln können, sind sie auf verlässliche Rahmenbedingungen angewiesen. Hier ist die Politik gefordert“, so Theileis. So brauche es bundesweit einheitliche Regelungen für die Gründung von MVZ-Genossenschaften, damit Gründungen auch über Landesgrenzen möglich sind, nennt der BWGV-Präsident ein Beispiel. Über alle Branchen hinweg würden die überbordende Bürokratie und Regulierungsflut das größte Wachstumshemmnis für die Unternehmen darstellen. „Es muss dringend zu einem echten Bürokratieabbau kommen. Die bisherigen Ansätze dazu können allenfalls ein Anfang sein“, mahnte Theileis und machte deutlich: „Angesichts einer stagnierenden Volkswirtschaft müssen die Unternehmen alle verfügbaren Kapazitäten in Innovation und Wachstum investieren können. Das bringt unser Land weiter.“
Wirtschaftspolitik muss sich auf Wachstum fokussieren
Theileis plädierte für eine Wirtschaftspolitik, in der es Konsens ist, dass der Erfolg der Sozialen Marktwirtschaft auf einer soliden und wachsenden Wirtschaftskraft beruht. Er machte deutlich: „Die Auswüchse in Umverteilung, Bürokratie, Bashing von Leistung und Wohlstand müssen durch die neue Bundesregierung egal welcher Colour zwingend ein Ende finden. Wir lähmen unsere Zukunft aktuell an allen Enden unserer Mitglieder; sei es in der Landwirtschaft, der Industrie oder der Finanzierung.“
Diese Aspekte waren auch Thema in den drei hochkarätig besetzten Fachforen beim Zukunftsforum.
Im Fachforum „Landwirtschaft, ländlicher Raum und Genossenschaften“ wurde die enorme Bedeutung der Genossenschaften für die gesamte Versorgungskette Lebensmittel, aber auch für die Stärkung des Ländlichen Raums als Wirtschafts-, Wohn- und Tourismus-Ort thematisiert. Ohne Genossenschaften bleiben viele Supermarktregale leer, wurde in der Diskussion zwischen Minister Peter Hauk (Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz) und Prof. Dr. Sebastian Hess (Leiter Forschungsstelle Genossenschaftswesen und Leiter Fachgebiet Agrarmärkte Universität Hohenheim) deutlich. Die 263 landwirtschaftlichen Genossenschaften werden von knapp 89.000 Mitgliedsbetrieben getragen. Neben fehlender Planungssicherheit – die Voraussetzung für langfristige Investitionen – belasten vor allem hohe Betriebskosten die genossenschaftliche Agrar- und Ernährungswirtschaft. Außerdem treibt sie die Sicherstellung von gleichen Wettbewerbsbedingungen im EU-Binnenmarkt und der zunehmende Arbeitskräftemangel um.
Genossenschaften müssen – wie andere Rechtsformen auch – explizit in die Lehr- und Stundenpläne aufgenommen und in Schulen und Hochschulen behandelt werden. Dies war eine zentrale Forderung des Fachforums „Bildung der Zukunft durch Wissenschaft und Forschung“. Dort diskutierten Ministerin Petra Olschowski (Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst) und Prof. Dr. Nicole Graf (Rektorin Duale Hochschule Baden-Württemberg). Sie waren sich einig, dass die Rechts- und Unternehmensform Genossenschaft bekannter werden müsse, damit deren Potenzial optimal genutzt wird – gerade auch bei Gründungen. Außerdem wurden die einzigartigen Möglichkeiten von Genossenschaften für die Unternehmensnachfolge behandelt. Genossenschaften könnten außerdem eine wertvolle Ergänzung zur bestehenden Bildungslandschaft darstellen – sei es als Schulform, Ausbildungsstätte oder Unternehmen.
Die herausragende Rolle der Genossenschaftsbanken für die mittelständisch geprägte Wirtschaft in Baden-Württemberg wurde im Fachforum „Innovation und Wertschöpfung im Mittelstand“ herausgearbeitet. Die 122 Volksbanken und Raiffeisenbanken unter dem Dach des BWGV finanzieren maßgeblich Innovation und Transformation der hiesigen Wirtschaft, kam in der Diskussion zwischen Ministerialdirektor Michael Kleiner (Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus) und Prof. Dr. Nils Högsdal (Prorektor Innovation an der Hochschule der Medien Stuttgart) deutlich heraus. Aber auch die Potenziale von genossenschaftlichen Kooperationen für die digitale und nachhaltige Transformation standen auf der Agenda. Tenor: Überall dort, wo Arbeits- und Kostenteilung sinnvoll ist, sind kooperative Ansätze ideal – zumal die einzelnen Unternehmen weiterhin ihre Selbstständigkeit behalten können.
So könnten innovative Entwicklungen wie etwa im Bereich der Künstlichen Intelligenz schneller und für den Einzelnen kostengünstiger vorangetrieben werden und der Zugang auch für kleinere Betriebe ermöglicht und vereinfacht werden. Auch die Möglichkeiten zur Einbeziehung von Wissenschaft, Hochschulen sowie Städten und Gemeinden seien ein großer Vorteil. Aktuell gibt es in Baden-Württemberg 334 gewerbliche Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften.


