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»Landwirtschaft 4.0« Stand und Perspektiven

Landwirtschaft 4.0
BayWa AG

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Vergleichbar mit dem Klimawandel, der Urbanisierung und dem demographischen Wandel handelt es sich auch bei der Digitalisierung oder der digitalen Transformation um einen sogenannten Megatrend. Megatrends haben laut Definition eine globale Dimension, wirken mittel- und längerfristig, können alle Lebensbereiche umfassen und sind schwer voneinander abzugrenzen. Sie sind von Individuen und Einzelgruppen nicht steuerbar. Es wird also auch der Landwirtschaft und dem Agribusiness nichts anderes übrig bleiben, als die mit der Digitalisierung verbundenen Technologien zu übernehmen und möglichst Nutzen stiftend einzusetzen. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, einen wertenden Überblick über die vielfältigen relevanten Technologien und Lösungen zu erstellen. Damit entwickelt sich eine Landwirtschaft 4.0.

Unscharfe Begriffe und Definitionen

Wie Landwirtschaft 4.0 konkret definiert werden kann, ist nicht zuletzt auch aufgrund der rasanten Entwicklungen bis jetzt noch nicht eindeutig geklärt. Generell kennzeichnen sich Anwendungen der Landwirtschaft 4.0 dadurch, dass sich Produktionsprozesse selbst steuern, Maschinen mit Maschinen kommunizieren, die Produktion mit modernster Informations- und Kommunikationstechnik verzahnt und vernetzt wird, Computerprogramme Entscheidungen vorbereiten oder gar treffen und unterschiedliche Prozesse sowohl in vertikaler als auch in horizontaler Dimension miteinander vernetzt werden.

Landwirtschaft 4.0
Entwicklung des Systems von Systemen

Anschaulich erklären lässt sich diese digitale Entwicklung in der Landwirtschaft hin zu einem Modell 4.0 am Beispiel eines Traktors (siehe Abbildung). Zunächst stellt der Traktor ein einfaches Produkt dar, welches lediglich Anbaugeräte ziehen, antreiben und vorwärts- und rückwärtsfahren kann. Durch den Einbau eines Computers und von Sensoren entsteht aus dem Traktor ein intelligentes Produkt, das beispielsweise auf Umgebungsdaten reagieren kann. Werden diesem intelligenten Produkt nun noch ein Sender und Empfänger hinzugefügt, entsteht ein intelligentes vernetztes Produkt. Der Sender ermöglicht es, dass der Traktor nun zum Beispiel Daten über seinen Standort, die lokalen und aktuellen Umweltbedingungen, den Spritverbrauch oder zu Wartungsintervallen an eine App oder eine andere Softwareanwendung versenden kann. Über den Sender kann der Traktor auch mit anderen Maschinen, wie Anbaugeräten oder weiteren Traktoren, Daten austauschen und auf diese reagieren. Im Rahmen dieser Kommunikation zwischen den unterschiedlichen Maschinen entsteht ein intelligentes, vernetztes Produkt- und Produktionssystem. Wird dieser Maschinenverbund erweitert, indem weitere externe Datenquellen wie zum Beispiel Wetterdaten, Daten aus der Tierhaltung, dem betrieblichen Management oder auch von Partnern aus der Wertschöpfungskette mit einfließen, entwickelt sich ein System von Systemen, welches als Farmmanagementsystem bezeichnet werden kann.

Dieses Farmmanagementsystem, in welchem alle Daten zusammenfließen, verarbeitet und ausgewertet werden, kann komplexe Informationen liefern. Diese Informationen können zur Entscheidungsunterstützung, zum Beispiel bei der Anbauplanung, bei der Wahl des besten Aussaattermins oder bei der Arbeitsorganisation in der Innenwirtschaft herangezogen werden. Zudem kann das betriebliche Controlling durch die besser aufbereiteten Daten optimiert werden und die betrieblichen Prozesse können transparent abgebildet werden. Die Stufe der Systeme der Systeme stellt vom Vernetzungsgrad und der Funktionsweise das da, was als „Landwirtschaft 4.0“ definiert werden kann.

Potenzieller Nutzen auf verschiedensten Ebenen

Landwirtschaft 4.0 Einsatzgebiete

Nutzen der Digitalisierung können wir auf den unterschiedlichsten Ebenen verzeichnen. Beginnend bei den Produktionsprozessen, wo die Entwicklung ganz eindeutig auf Teil- beziehungsweise Vollautomatisierung sowie auf fahrerlose Systeme zuläuft, lassen sich mit Digitalisierungstechnologien auch Betriebszweige und komplette Betriebe in ihren Abläufen optimieren. Eine Steigerung der Ressourceneffizienz, der Arbeitsproduktivität, des Klima-, Umwelt- und Tierschutzes und die Qualitätssicherung sind hiermit verbundene Nutzen stiftende Folgen. Große Potenziale bieten sich durch die Digitalisierung aber auch in überbetrieblicher Dimension – horizontal im Rahmen von regionalen Produktions- und Produktclustern, vertikal entlang von Wertschöpfungsketten. Hier bilden Digitalisierungstechnologien die Grundlage für überbetriebliche Kommunikation sowie Datenhaltung, -analyse und -austausch. Damit verbunden sind ebenfalls Effizienzsteigerungen und die Erreichung von Qualitätszielen, aber in Wertschöpfungsketten auch die Rückverfolgbarkeit und damit verbunden die Futter- und Lebensmittelsicherheit. Verbesserungen beim Verbraucherschutz sind Folgen hiervon. Die immer umfassendere Mobilität digitaler Endgeräte ist gerade für Landwirte von hohem Nutzen.

Weiterentwicklung dringend erforderlich

Derzeit steht die Stufe der Systeme der Systeme noch ganz am Anfang der Entwicklung, und es bestehen noch vielfältige Herausforderungen, die gemeistert und gelöst werden müssen, bis die Techniken rund um Landwirtschaft 4.0 in der Praxis Einzug halten werden. Systeme rund um „Landwirtschaft 4.0“ bieten Landwirtschaft und Agribusiness einerseits enormes Potenzial. Sie stellen die Landwirte aber gleichzeitig auch vor große Herausforderungen.

Für den Einsatz der Technologien spricht sowohl die Möglichkeit der Erhöhung der Einsatzsicherheit von Maschinen als auch die Maschinenoptimierung. Durch die Vernetzung der Maschinen mit beispielswiese dem zuständigen Servicepartner können Wartungsintervalle besser geplant, oder bei technischen Problemen mit der Maschine die Fehlersuche zunächst per Fernwartung durchgeführt werden. Zudem kann auch die Auslastung der Maschinen beziehungsweise gesamter Maschinenflotten besser überwacht und gesteuert werden. Durch die stärkere Vernetzung der verschiedenen betrieblichen Daten kommt es zudem zu einer Reduzierung von administrativen Aufgaben. Eine verbesserte Transparenz entsteht dadurch, dass nun in einem Softwareprogramm alle betrieblichen Daten zusammenfließen und der Betriebsleiter so schneller einen Überblick über die betriebliche Situation bekommt. Durch das Zusammenführen von Daten unterschiedlicher Herkunft und Inhalte können zudem Schwachstellen besser identifiziert und analysiert sowie Risikobereiche aufgedeckt werden. Die vom Farmmanagement-Programm vorausgewerteten Dokumentationsdaten liefern des Weiteren wichtige Erkenntnisse für die tägliche Betriebsführung und tragen dazu bei, die betrieblichen Erträge zu steigern als auch konstantere Qualitäten zu produzieren. Parallel hierzu findet ein effizienterer Einsatz von Betriebsmitteln statt, wodurch Kosten reduziert werden können und insbesondere natürliche Ressourcen geschont werden. Zudem kann es zu einer deutlichen Erhöhung der Arbeitsproduktivität und zu einer Verbesserung des Tierwohls beitragen.

Breitbandausbau als wesentliche Voraussetzung

In Bezug auf die Herausforderungen ist als erstes der Breitbandausbau zu nennen. Für die Anwendung von „Landwirtschaft-4.0“-Systemen sind Datenübertragungsraten im Gigabitbereich notwendig. Diese sind in vielen Regionen in Deutschland bisher noch nicht vorhanden. Des Weiteren kommt es durch die digitalen Systeme zu einer Veränderung der Arbeitswelt. In Zukunft werden tendenziell weniger Arbeitskräfte benötigt, wobei aber die Nachfrage nach höher qualifizierten Arbeitskräften steigen wird. Auch die Aus- und Weiterbildungsangebote müssen an die digitalen Entwicklungen angepasst und kompetent angeboten werden. Insbesondere Weiterbildungsangebote zur Schulung älterer Personen im Umgang mit den digitalen Systemen sind notwendig.

Als weitere Herausforderung ist die ökonomische Nutzenquantifizierung von digitalen Systemen zu sehen. Bisher gibt es hierzu zu wenig fundierte langfristige Studien. Generell ist es so, dass die Höhe der Kosteneinsparung und die Realisierung von Mehrerträgen sehr von der aktuellen Arbeitsqualität abhängen. Vorteile, die beispielsweise mit teilflächenspezifischen Lösungen erreicht werden können, variieren sehr stark mit der Heterogenität des Ackers. Je homogener der Boden ist, desto geringer sind die möglichen erzielbaren Ertragsvorteile. Es ist somit sehr von der einzelbetrieblichen Situation abhängig, wie stark die Effekte im ökonomischen Bereich sein werden. Auch Hersteller nennen daher kaum konkrete Zahlen, sondern beziffern mögliche Potenziale meist im einstelligen Bereich.

Zudem besteht aktuell noch keine flächendeckende Kompatibilität und Konnektivität zwischen den verschiedenen Systemen der Hersteller. In der Vergangenheit haben die Hersteller digitale Insellösungen bevorzugt, um die Kunden an ihr System zu binden. Einen Wert erhalten Daten allerdings erst durch sinnvolle Verknüpfung, Analyse und Interpretation. Hierfür ist eine standardisierte, kompatible Erhebung nötig, um Daten bündeln und so tatsächlich mehr Wissen generieren zu können.

Datenhoheit, Datenrechte und der Datenschutz als Schlüsselprobleme

Zentrale, zur Lösung anstehende Fragestellungen sind unter anderen auch die Datenhoheit, Datenrechte und der Datenschutz. Schlüssige Lösungen hierzu sind definitiv als entscheidend für die Akzeptanz und Verbreitung von Digitalisierungstechnologien anzusehen. Daten werden zum Beispiel in der Pflanzenproduktion häufig von maschinengestützten Sensoren erfasst, damit häufig auch von Maschinen des Lohnunternehmers oder des Maschinenrings, womit sich die Frage der Verfügungsrechte über die Daten stellt. Auch Maschinenhersteller erheben Ansprüche an Datenrechten. Da die Daten weit überwiegend in digitaler Form vorliegen und häufig per Funk übertragen werden, sind diese durchaus auch leicht „flüchtig“. Auch Betriebsmittellieferanten und Produktbündler und -verarbeiter greifen auf betriebliche Daten zu und beanspruchen deren Nutzungsrechte, zum Beispiel im Sinne einer verbesserten Kundenbindung, der Zusammenstellung maßgeschneiderter Angebote und einer bedarfsgerechten Beratung. Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie es um die Rechte an Daten steht, die aus luftgestützten Erfassungssystemen, zum Beispiel von Drohnen oder Satelliten, stammen.

Wettbewerb um die Entscheidungshoheit

Angesichts der rasant fortschreitenden Entwicklung von digitalen und Farmmanagement-Systemen wird häufig die Frage aufgeworfen, ob der Landwirt in Zukunft die Entscheidungshoheit im Netz der Systeme behalten wird, oder ob der Beruf Landwirt überflüssig wird. Da Landwirtschaft auch zukünftig überwiegend unter Freilandbedingungen und nicht in geschlossenen Räumen mit konstanten Produktionsbedingungen stattfinden wird, sollte man davon ausgehen, dass weiterhin die Erfahrung eines Landwirts unverzichtbar sein wird.

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