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Auszubildende entwickeln in Pandemiezeiten

Ausbildung während Corona
derateru / pixelio.de

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In 2020 ging die Zahl der Ausbildungsverhältnisse weiter zurück. Im Herbst 2020 wurden 57.600 Ausbildungsverträge weniger abgeschlossen als im Vorjahr, wie aus der aktuellen Ausbildungsbilanz des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) hervorgeht. Das entspricht einem Minus von 11 Prozent. Insgesamt wurden bundesweit 467.500 Ausbildungsverträge geschlossen. Erstmals seit der Wiedervereinigung lag die Zahl damit unter 500.000. Der seit Jahren rückläufige Trend wurde durch die Corona-Pandemie verstärkt. Die von der Pandemie besonders hart getroffenen Branchen wie Gaststätten- und Hotelbetriebe, Tourismus- und Reiseveranstalter reduzierten erwartungsgemäß ihr Ausbildungsengagement deutlich. Aus Gesprächen mit Ausbildern in unseren Genossenschaften zeigt sich die Tendenz, dass neue Ausbildungsverträge eher verhaltener abgeschlossen wurden und deutlich weniger Azubis nach Abschluss der Ausbildung in feste Arbeitsverhältnisse übernommen wurden. Die von der Bundesregierung entwickelte Corona-Ausbildungsprämie entfaltete keine motivierende Wirkung. Die interessierten Betriebe sollten so hohe Umsatzeinbrüche im April und Mai 2020 nachweisen, dass nur wenige Ausbildungsbetriebe das bereitgestellte Geld abriefen. Die Förderbedingungen wurden nachgebessert und können noch rückwirkend bis Juni 2021 bei der Agentur für Arbeit gestellt werden.

Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Azubis der Prüfungsjahrgänge 2020

Die Entwicklung der Corona-Pandemie forderte von Ausbildern, Auszubildenden, Bildungseinrichtungen und Prüfern ein hohes Maß an Flexibilität und Kreativität ein. Im Frühjahr 2020 betrafen die von der Bundesregierung ergriffenen Schutzmaßnahmen unmittelbar die Abschlussjahrgänge. Die schulische Prüfungsvorbereitung litt erheblich. Berufsschulunterricht fiel während und nach dem Lockdown aus, Lehrer meldeten sich häufiger krank, kurzfristig digitalisierter Berufsschulunterricht war von sehr unterschiedlicher Qualität. Alle IHK-Prüfungstermine wurden in den Sommer hineinverschoben. Die BWGV-Akademie zog ihre Angebote zur Prüfungsvorbereitung zeitlich mit um, damit wir allen Azubis aus den Genossenschaften eine optimale Prüfungsvorbereitung für Kaufleute und Lager/Logistiker anbieten konnten. Mehr denn je, zeigte sich in der Corona-Pandemie, wie wertvoll die Prüfungsvorbereitung ist. Das Feedback der Teilnehmenden fiel ausgesprochen positiv und dankbar aus. Zwei Aspekte wurden von Prüflingen hervorgehoben. Die Teilnehmer der Prüfungsvorbereitung schätzten hoch ein, dass sie in unsicheren Zeit eine ganz persönliche Unterstützung erfuhren, was sie mental stärkte. Sie realisierten, dass der Berufsschulunterricht massiv an Qualität verloren hat und sie über fachliche Wissenslücken verfügten. In der Prüfungssimulation traten die Wissenslücken deutlich zu Tage und konnten gezielt durch intensive Trainings geschlossen werden. Besonders die Verknüpfung der theoretischen Inhalte mit der gelebten Arbeitswelt anhand von Praxisbeispielen schätzten die Teilnehmer als sehr hilfreich ein.

Vom distanzierten Präsenzunterricht zum Online-Live-Training für Azubis

Die anhaltende Pandemie erforderte in den Ausbildungsbetrieben und in der BWGV-Akademie zahlreiche Anpassungsstrategien. Die Belegschaft gesund und einsatzfähig zu halten und Märkte – trotz operativer Einschränkungen – weiter zu bearbeiten, machte Genossenschaften erfinderisch. Konsequente Hygienekonzepte und die Einsicht der Mitarbeitenden verhinderten, dass es in unseren Genossenschaften zu größeren gesundheitlichen Problemen kam. In der BWGV-Akademie führten wir im Sommer zeitweise Azubi-Trainings für das erste und zweite Lehrjahr in distanziertem Präsenzunterricht durch. Die teilnehmenden Azubis verhielten sich ausnahmslos sehr verantwortungsbewusst und diszipliniert. Es gab auch Kunden, die ab März sofort sämtliche Azubi-Trainings in Präsenz für das ganze Jahr 2020 stoppten. Damit diese Azubis trotz der Corona-Pandemie gut in den Ausbildungsbetrieb integriert wurden und erste Grundlagen im Kundenkontakt aufbauen konnten, entwickelten unsere Trainer interaktive Online-Trainings für Azubis. Was sich zunächst simpel anhört, gestaltet sich in der Praxis komplexer.

Online-Live-Trainings: Arbeitsumfeld und Konzept müssen stimmen

Der Ausbildungsbetrieb muss zunächst eine Infrastruktur schaffen, die es Azubis ermöglicht, störungsfrei an einem Online-Live-Training teilzunehmen. Nicht nur PCs und Laptops mit Kamera und Mikrofon sind erforderlich, genauso essenziell ist ein Arbeitsplatz, der konzentriertes Arbeiten über einen längeren Zeitraum hinweg ermöglicht. Die Gemüse Reichenau eG hat mit Beginn der Pandemie einen bestehenden Sitzungsraum für digitale Meetings mit einem großen Bildschirm und Übertragungstechnik aufgerüstet. Dieser Multi-Media-Raum darf auch von Azubis für Online-Trainings genutzt werden. Als im Herbst die Infektionszahlen im Land kontinuierlich anstiegen, stellten wir alle Azubitrainings auf interaktive Online-Live-Trainings um. Unsere Trainer entwickelten sich technisch und didaktisch weiter, damit Online-Live-Trainings das erwünschte Lernziel erreichen. Mit einer PowerPoint-Präsentation ist es nicht getan. Junge Menschen müssen während des digitalen Live Trainings „geistig im Spiel bleiben“. Damit der Online-Trainer die Aufmerksamkeit der Azubis gewinnt, erhält und dafür begeistert, selbst aktiv zu werden, braucht es ein  überzeugendes, didaktisches Konzept und eine geeignete Plattform. Nach eingehender Prüfung unterschiedlicher Software-Lösungen haben sich unsere Trainer für den Einsatz von MS Teams entschieden. Mit MS Teams können wir Lerninhalte interaktiv und abwechslungsreich gestalten, Lernunterlagen schnell teilen und zur Verfügung stellen. Die Teilnehmenden arbeiten in Gruppen mit maximal zwölf Personen, alle schalten ihre Kameras ein, um in Blickkontakt zu sein. Wir können die Hauptgruppe in kleine Arbeitsgruppen teilen und auf unterschiedliche virtuelle Räume verteilen, wieder zusammenführen und einzelne Teilnehmer gezielt ansprechen. Nach unseren ersten Online-Live-Trainings konnten wir auch Ausbildungsbetriebe vom Nutzen überzeugen, die anfangs skeptisch waren.

Berufsschulische Defizite ausgleichen und für Nöte der Azubis sensibel sein

Bis sich die Lage an den Berufsschulen wieder normalisiert, blicken die aktuellen Auszubildenden auf rund anderthalb Jahre mit unzureichender Beschulung zurück. Dazu kommen die veränderten Rahmenbedingen der letzten Monate, die jungen Menschen zu schaffen machen wie zum Beispiel reduzierte Kontakte zu Freunden, Spannungen in Familien, Verlust des Vereinslebens. Für Ausbilder und Ausbildungsverantwortliche sollte dies Anlass sein, noch genauer auf Wissensaufbau und die persönliche Situation der Azubis zu achten und gegebenenfalls rechtzeitig Unterstützung anzubieten. Zusätzliche digitale Trainingsangebote können helfen, fachliche Defizite in der Ausbildung auszugleichen. Exemplarisch dafür steht „Prüfungs.TV für Kaufleute für Büromanagement“, das die BWGV-Akademie seit Oktober anbietet. Die über 130 Videos erklären anschaulich und nachvollziehbar alle prüfungsrelevanten Themen. Die hohe Qualität der Videos und das Aufzeigen von Zusammenhängen unterschiedlicher Themen führen zu schnellen Lernerfolgen und einer intensiven Nutzung durch die Auszubildenden. Ausbildungsbetriebe können je nach Bedarf eine Dreimonatslizenz erwerben oder eine ausbildungsbegleitende Lizenz. Digitale Lernangebote können Präsenztrainings natürlich nicht vollständig ersetzen. Vor allem wenn es um den Aufbau von sozialen Kompetenzen geht, braucht es Nähe, menschlichen Austausch und die unmittelbare Reflektion des eigenen Handels. Gerade für Auszubildende ist die Arbeit an sozialen Kompetenzen ein zentrales Element in der Persönlichkeitsentwicklung. Das ist uns bewusst, darum freuen wir uns, wenn wir den Auszubildenden wieder in Workshops und Präsenztrainings begegnen. Bis es soweit ist, wollen wir die bestmöglichen Alternativen bieten, damit allen Azubis in unseren Genossenschaften ein erfolgreicher Abschluss gelingt.

 

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